Kirche im Urlaub und auf Reisen

Die evangelische Kirche präsentiert sich auf Tourismusmesse

09. März 2012

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider (li.) und der katholische Bischof von Hildesheim und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Norbert Trelle.

Messe, das heißt: großflächige Hallen, Aussteller aus hunderten Ländern, hektisches Treiben, bunte Flyer, leuchtstarke Werbung, Geräuschkulisse. Mittendrin ein Andachtsraum. Ein Kreuz, ein Altartisch und einige wenige Stühle. Neben der Bibel steht im Regal auch der Koran. Als „Vorposten der Kirche in der Gesellschaft“ sieht Karl-Heinz Jaworski die Messeseelsorge. Der Fachbereichsleiter „Kirche in Freizeit und Tourismus“ der Evangelischen Landeskirche in Württemberg erklärt den außergewöhnlichen Ort, an dem seine Kirche präsent ist: „Messeseelsorge wendet sich zunächst an die Angestellten einer Messe und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Aussteller. Oft ziehen sie von einer Messestadt in eine andere und leben aus dem Koffer. Mitten in ihrem Messealltag sind wir für sie da, mit einem Rat, mit einem Hilfsangebot, mit diesem Ort, der Ruhe und Besinnung schenkt.“

Die Neue Messe in Stuttgart liegt in unmittelbarer Nähe des Flughafens. Auch auf dem Stuttgarter Airport gibt es einen Andachtsraum. Flughafen- und Messeseelsorge sind zwei von zahlreichen touristischen Arbeitsfeldern, in denen Kirche ihren Auftrag wahrnimmt.

„Kirche und Tourismus sind zwei starke Partner“, betont der Vorsitzende des Rates der EKD, Präses Nikolaus Schneider. Zusammen mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Norbert Trelle, besuchte er das erste Mal die weltweit größte Tourismusmesse, die ITB in Berlin. „Urlaub und Freizeit gehören zu den wertvollsten Zeiten im Leben der Menschen. Deshalb treten wir als Kirche für das Recht jedes Menschen auf Freizeit und Erholung ein und halten eine Vielzahl von Angeboten für Menschen unterwegs bereit.“
In den über 15.000 evangelischen Gemeinden im In- und Ausland gibt es viel zu entdecken, mitunter an ganz ungewohnten Orten kirchlichen Lebens. Die evangelische Kirche ist zu finden auf über 50 Campingplätzen, in 38 Autobahnkirchen und -kapellen, auf fünf Kreuzfahrtschiffen mit über 50 Einsätzen im Rahmen der Bordseelsorge. Ein Großteil der über 20.000 evangelischen Kirchengebäude wird für Besucherinnen und Besucher verlässlich offen gehalten. Gottesdienste im Grünen, Kloster auf Zeit, Begleitung von Pilgern auf den zahlreichen Pilgerwegen, Radwegekirchen – evangelische Kirche versteht sich als Begleiterin aller Menschen, die sich auf einem Weg befinden. Ein besonders schönes Kennzeichen des kirchlichen Engagements an der Schaltstelle zum Tourismus ist die in vielen Feldern praktizierte ökumenische Zusammenarbeit.

Das Thema Tourismus gehört zu den Zukunftsthemen der Kirche. Laut einer Studie der Stiftung für Zukunftsfragen aus dem Jahr 2011 hat sich das Reiseverhalten der Deutschen deutlich verändert. Die Motivation bei der Buchung der Urlaubsziele speist sich nicht mehr allein aus dem Wunsch nach Entspannung. Zunehmend gesucht wird aktive Erholung, mit Interesse an spirituellen Erfahrungen. Die Holidays werden zu „holy days“. Ein Drittel der Urlauber baut den Besuch religiöser Orte ins Urlaubsprogramm und kann sich vorstellen, ein kirchliches Angebot zu nutzen. Mehr als ein Fünftel besucht im Urlaub einen Gottesdienst, 16 Prozent können sich einen Aufenthalt im Kloster vorstellen.

Im Zentrum des Besuches der Vorsitzenden der beiden großen deutschen Kirchen auf der ITB stand ein Podiumsgespräch auf dem Kirchenforum, das seit mehr als 30 Jahren eine etablierte Plattform für den Austausch von Kirche, Gesellschaft und Wirtschaft im Bereit des Tourismus ist. Gemeinsam mit Vertreterinnen aus Kirche und Tourismus diskutierten Bischof Trelle und Ratsvorsitzender Schneider das Thema „Reif fürs Paradies. Glücksverheißung in Kirche und Tourismus.“ Dabei betonte Schneider, es sei positiv, dass die Reisebranche vielen Menschen bezahlbaren Urlaub ermögliche. Doch so wertvoll der Urlaub für das Leben der Menschen sei, er könne kein Paradies auf Erden bringen.

Urlaub steht in der Gefahr, mit übergroßen Erwartungen aufgeladen zu sein. Die wenigen Tage im Jahr sollen zu einer ganz besonders tollen Zeit mit intensiven Naturerlebnissen, spannenden Bekanntschaften, erholsamen und anregenden Erfahrungen für Körper, Geist und Seele werden. Einem solchen „Erwartungsdruck des Glückerlebens“ stehen die Kirchen kritisch gegenüber. Ihr Auftrag besteht in einer heilsamen Desillusionierung: Zusammen mit den Menschen müssen Wege gefunden werden, wie der Mensch mit der unerfüllbaren Sehnsucht nach dem Himmel auf Erden umgeht. „Es gibt ein Leben nach dem Urlaub“, betonte Bischof Trelle, und verwies auf die zahlreichen kirchlichen Angebote der Seelsorge im Tourismus, die dabei helfen, der Sehnsucht nach einer paradiesischen Urlaubszeit Raum zu geben ohne falsche Versprechungen.

Präses Schneider warb für die gemeinsame Verantwortung von Touristikern und Kirche. Urlaub dürfe nicht verbunden sein mit einem Raubbau an der Natur, die Interessen der Einheimischen in den besuchten Ländern müssen geachtet, die Reiseangebote nachhaltig ausgerichtet sein. Und nicht zuletzt setzte sich Kirche dafür ein, dass faire Arbeitsbedingungen in der Tourismusbranche herrschen.

Karl-Heinz Jaworski blickt von Stuttgart aus auf eine besonders große Herausforderung der kommenden Jahre. „Der 500. Jahrestag der Reformation wird viele Gäste aus der ganzen Welt nach Deutschland führen. Sie werden die Stätten der Reformation aufsuchen und gemeinsam mit uns das Jubiläum feiern. Gastfreundschaft ist seit jeher ein Zeichen von uns Christen. Wir werden alles dafür tun, dass wir uns als ein gastfreundliches und konfessionell-befriedetes Land präsentieren.“

Eine Übersicht über die kirchlichen Handlungsfelder im Tourismus bietet die jetzt erschienene Broschüre unter dem Titel „Kirche in Freizeit und Tourismus“ und die dazugehörige Internetseite www.ekd.de/freizeit-und-tourismus.