Griechenland - In der Krise Zeichen setzen

Der deutsche Pfarrer in Athen, René Lammer, berichtet

21. Februar 2012

20120221_griechenland470

Keine Angst vor der Angst – das war der Titel des Vortrages, mit dem die Evangelische Kirche Deutscher Sprache in Griechenland ihr 175 jähriges Jubiläum in Athen einleitete. Zum Thema sprach Prof. Dr. Borwin Bandelow, zurzeit der deutsche Experte für Angsterkrankungen.  Und besser hätte er die Thematik kaum wählen können. Denn die Angst geht um in Griechenland: Vor dem Bankrott des Landes. Vor weiteren Lohn- und Rentenkürzungen. Vor Arbeitslosigkeit und sozialer Deklassierung. Die Angst auch vor sozialen Unruhen, die sich gewalttätig und unkalkulierbar entladen.

Kaum ein Mensch in Griechenland, der nicht unter den Krisenerscheinungen zu leiden hätte. Wie eine dunkle Wolke hat sich die Depression über das Land gelegt. Das vielleicht Schlimmste bei allem: Dass auch nach zwei Jahren wirtschaftlichen Rückschrittes, kein Hoffnungsstreifen am Horizont auszumachen ist. Auch nach der Zustimmung zum 130 Milliarden Hilfspaket hat sich daran nichts Wesentliches geändert. Denn Aussichten wie die, dass im Jahr 2020 das Land vielleicht wieder soweit sein könnte, selbst am Kapitalmarkt neue Kredite aufzunehmen, vorausgesetzt die Rettungsmaßnahmen wirken so, wie sie sollen – solche Aussichten vermögen nicht wirklich, den Optimismus zu wecken.

Natürlich geht die Krise auch an unserer deutschsprachigen Gemeinde nicht vorbei. Viele unserer Mitglieder wohnen schon seit Jahrzehnten hier, sind mit Griechen verheiratet. Nicht wenige erhalten nur die Mindestrente, die gerade einmal zum Überleben reicht. Etliche haben bereits das Land wieder in Richtung Deutschland verlassen. Auch in unserem Alten- und Pflegeheim, in dem etwa 40 Personen leben, mehren sich die Sorgen. Das Heim ist in den letzten Jahren von unserer Diakonie stark bezuschusst worden. Dennoch muss es Sätze erheben, die zumindest die laufenden Kosten decken. Im Durchschnitt sind das etwa 1600.- Euro im Monat für jeden Bewohner. Aber eine so hohe Rente hat nach all den Kürzungen hier kaum noch jemand. Und Leistungen aus Pflegeversicherung und Sozialhilfe gibt es in Griechenland nicht.

Die allgegenwärtige Krise hat aber nicht nur wirtschaftliche Konsequenzen. Wir Deutschsprachigen hier bekommen auch die Spannungen zu spüren, die sich auf politischer Ebene aufgebaut haben. Einer älteren Dame aus der Gemeinde sagte man neulich im Amt, das für die Rentenzahlungen zuständig ist: „Merkel, sei froh, wenn du überhaupt etwas von uns bekommst.“ Merkel – das ist der Spottname für alle, die sich als Deutsche  zu erkennen geben. Immerhin: Den anderen Griechen, die auch auf ihre Rente warteten, war der Zwischenfall peinlich. Sie entschuldigten sich für den entgleisten Beamten.   Denn eigentlich und trotz allem: im Grunde mögen die meisten Griechen die Deutschen.

Klar ist aber, die Nerven liegen blank. Und deshalb wünschen wir uns hier vor allem von deutschen Politikern ein hohes Maß an Sensibilität. Die könnte zum Beispiel darin bestehen anzuerkennen, dass Griechenland seinen Bürgern schon enorme Anstrengungen abverlangt hat, um Wege aus der Krise zu finden. Aber bei einem Rückgang der wirtschaftlichen Leistung um 15 Prozent in den vergangenen zwei Jahren und einer Arbeitslosigkeit von über 20 Prozent können auch kein Sparkommissar und kein Sperrkonto weiterhelfen. Im Gegenteil: solche Forderungen sind demütigend und rufen böse Erinnerungen wach. Denn die Zeiten der deutschen Besatzung sind in Griechenland noch im kollektiven Gedächtnis gegenwärtig. Das Erinnerungsvermögen der Opfer ist allemal besser als das der Täter.

Auch unabhängig von den Wunden der Vergangenheit wäre es gut zu begreifen, dass die Krise in Griechenland zwar extreme Ausmaße hat, weil dieses Land zweifellos eines der schwächsten Glieder der europäischen Gemeinschaft ist. Aber die Überschuldung öffentlicher Haushalte ist bekanntlich keine Erfindung der Südeuropäer.  Als Beispiel mag genügen: Die pro Kopf Verschuldung in Bremen hat trotz Länderfinanzausgleich ein ähnliches Ausmaß angenommen wie in Griechenland. Trotzdem denkt bisher noch niemand daran, eine Troika oder eine Task Force an die Weser zu schicken.

Anstelle von einseitigen Schuldzuweisungen, ist es also Zeit zu verstehen: Der Fall Griechenland ist auch ein Zeichen für die defizitäre Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre in Europa. Es kommt jetzt darauf an, neue tragfähige Konzepte zu entwickeln. Konzepte, die dem unterschiedlichen nationalen und regionalen Entwicklungstand der Mitgliedsländer Rechnung tragen. Konzepte, die zu einer größeren sozialen Gerechtigkeit führen, die Wachstum in den strukturschwachen Ländern ermöglichen und nicht zuletzt: die deutsche Rüstungsexporte drastisch reduzieren.

Bei allen Spannungen zwischen Deutschen und Griechen, die am meisten Leitragenden des wirtschaftlichen und sozialen Verfalls hier in Athen sind andere Ausländer, nicht wir. Nach Schätzungen leben etwa eine Million Migranten vor allem aus Afghanistan, Pakistan, den Philippinen und vielen schwarzafrikanischen Ländern in Griechenland. Die meisten wollen nicht hier bleiben, sondern weiter nach Italien, Frankreich, Deutschland. Wenn ich zu einem meiner Gottesdienste nach Patras fahre, sehe ich sie zu Dutzenden am Straßenrand sitzen. Sie warten auf einen LKW, auf den sie aufspringen können, um als blinde Passagiere über die Adria zu reisen. Den Allerwenigsten gelingt es, denn die Fahrer der Wagen werden hart bestraft, wenn man die Migranten bei ihnen entdeckt. Auch hier zeigt sich ein europäisches Problem, auch das kann nur gemeinsam gelöst werden.

Um einen dieser Migranten kümmert sich unsere Gemeinde besonders. Paul ist in Deutschland aufgewachsen, spricht neben französisch auch perfekt deutsch. Er war von seinen Eltern noch als Jugendlicher in den Kongo zurückgeschickt worden. Dort lebte er einige Jahre, ohne Ausbildung, ohne Job, ohne Geld. Dann versprachen ihm falsche Freunde eine Fußballerkarriere in der Türkei. Natürlich wurde nichts daraus. So kam Paul schließlich nach Griechenland. Nun wohnt er mit mehreren Männern in einem kleinen Kellerraum. 50 Euro bekommt er von einer Tante aus Deutschland geschickt. Noch verkauft er nicht auf den Straßen illegale Raubkopien. Er durchsucht auch nicht den Müll nach recycelbaren Material, wie mittlerweile tausende Migranten, die jeden Tag durch die Straßen Athens ziehen. Wir wollen, dass Paul das auch in Zukunft nicht tun muss, sondern dass er seine Chance bekommt. In Deutschland. Denn hier hat er sie nicht. Wir wissen, das wird ein weiter Weg.

Weit wird der Weg auch für Griechenland, um wieder wirtschaftlich auf die Beine zu kommen. Ein kleines Zeichen dafür, wohin die Entwicklung gehen könnte, wollen wir auch als Gemeinde setzen. So sind wir gerade dabei, eine Photovoltaikanlage auf dem Dach unserer Kirche zu installieren.  Die nächste Anlage soll dann, sobald wir das Geld zusammen haben, auf das Dach des Gemeindehauses gestellt werden. Denn die Sonne scheint hier zwar nicht ohne Unterlass, aber doppelt so lange wie in Deutschland. Die Photovoltaik steckt in Griechenland trotzdem noch in den Kinderschuhen. Dabei könnte der alternativ gewonnene Strom auf Dauer nicht nur die Braunkohlekraftwerke, sondern auch einen erheblichen Teil der Erdölimporte ersetzen. Zu dieser Perspektive wollen wir als deutschsprachige Kirchengemeinde zumindest einen kleinen Beitrag leisten.

Denn irgendwann, so führte es Professor Bandelow in seinem Vortrag aus, ist auch das tiefste Tal durchschritten. Dann lässt die Angst nach und die Hoffnung beginnt wieder zu wachsen. Wenn es dann wirtschaftlich wieder aufwärts geht, kommt auch die Lebensfreude zurück.  Und die kann dann größer sein als vor der Krise, selbst wenn der materielle Lebensstandard längst noch nicht wieder der alte ist.

René Lammer, Pfarrer der Evangelischen Kirche Deutscher Sprache in Griechenland, Athen