"Alle meine Träume waren auf einmal zerstört"

In Kenia setzten sich Hilfswerke für Behinderte in Ostafrikas Hungerkrise ein

23. Januar 2012

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Jelica Kalanyu sitzt vor einem Bretterverschlag und scheint in die Luft zu schauen. Ihre Hütte liegt an einem steilen Hang mitten im Wald bei der Kleinstadt Meru, rund fünf Autostunden Fahrt von Kenias Hauptstadt Nairobi. Kalanyus Körper ist ausgemergelt, ihr verblichenes Hemd und der ehemals rote Wickelrock hängen lose an ihr herab. Der zwei Monate alte Säugling an ihrer Brust ist schmutzig, die Nase vom Schnupfen verkrustet. Kalanyu sieht es nicht. Vor zwei Jahren ist die Mutter von sechs Kindern erblindet.

"Behinderte wie Kalanyu gehören zu den Ärmsten der Armen", sagt Caroline Mukami, in der katholischen Diözese Meru für Behinderte zuständig. Weltweit sind eine Milliarde Menschen behindert, heißt es im jüngsten Bericht der Weltgesundheitsorganisation. Rund 80 Prozent von ihnen leben in Afrika, Asien und Lateinamerika. Infolge von Armut, Krankheiten und Kriegen sind in Entwicklungsländern im Durchschnitt mehr Menschen behindert als in Industrienationen. Hunger und Dürre treffen sie am härtesten.

"Es war schrecklich. Alle meine Träume waren auf einmal zerstört", sagt die 28-jährige Jelica Kalanyu, als sie von ihrer Erblindung erzählt. Manchmal verlaufe sie sich im Wald und müsse sich auf allen vieren zu ihrer Hütte zurücktasten. Das Feld, das sie gepachtet hat, kann sie nicht mehr bestellen, ihr ältester zwölfjähriger Sohn muss nun für alle kochen. "Ich fühle mich so schrecklich hilflos."

Warum sie erblindet ist, ist aus ihren Erzählungen nicht eindeutig herauszufinden. Sie habe starke Schmerzen im Rücken gehabt und dann innerhalb kürzester Zeit ihr Augenlicht verloren. Aus den Krankenhausunterlagen geht hervor, dass es eine "traumatische Gewalteinwirkung" gegeben habe. "Nach dem, was im Dorf erzählt wird, hat vermutlich ihr Mann sie halb zu Tode geprügelt", sagt Caroline Mukami.

Mukami arbeitet zurzeit zusammen mit der Christoffel-Blindenmission in einem Nothilfeprogramm. Schätzungen kenianischer Behörden zufolge sind rund zehn Prozent der Bevölkerung im Distrikt Meru in irgendeiner Form behindert. Im Nothilfeprogramm werden 20.000 Menschen versorgt.

Mukami misst an der Kirche Bohnen, Maismehl und Öl zum Verteilen ab. Durch die Hungerkrise am Horn von Afrika, sagt sie, finden und erreichen die Hilfsorganisationen mehr und mehr Menschen mit Behinderungen wie Kalanyu.

Der Grund: Behinderte, die in Afrika häufig als "verhext" gelten, verlacht und misshandelt werden, werden nun aus ihren Verstecken geholt. Denn die Christoffel Blindenmission und die Diözese bieten Dorfgemeinschaften gezielt Lebensmittelhilfe für Menschen mit Behinderungen. Zugleich versuchen die Mitarbeiter rund um Mukami, medizinische Hilfe, Medikamente, Prothesen, Beratung und sogar Ausbildungen zu ermöglichen.

Soweit kann Jelica Kalanyu noch gar nicht denken. Sie hat nur einen Wunsch: wieder sehen und für ihre Kinder sorgen zu können. "Ich wollte so sehr, dass es meinen Kindern mal bessergeht als mir, ich wollte einen Laden eröffnen". Nun gehen die Kinder nicht mehr zur Schule, weil das Geld fehlt. "Wir schlafen auf dem Boden, unser Feld mussten wir verkaufen, um die Krankenhauskosten zu bezahlen", sagt die junge Frau. Selbst Wasserholen ist äußerst mühsam geworden. Das Dorf mit der nächsten Quelle ist sechs Kilometer entfernt. Ihr Sohn muss sie täglich hinführen, indem er sie an einem Stock hinter sich herzieht.

Die Kirchenmitarbeiterin Mukami hat sich Kalanyus Geschichte genau angehört. Ohne Hilfe "wäre sie hier im Wald verendet", meint sie. Jetzt werde man sie beraten und schauen was sie neben Lebensmittelhilfe und Saatgut am dringendsten braucht. Auf jeden Fall, sagt Mukami, werde man ihr so schnell wie möglich einen Kurs anbieten, in dem sie lernt, wie man sich relativ sicher alleine mit einem Blindenstock fortbewegt. "Sie wird in unseren Kursen so viel lernen, dass sie irgendwann wieder unabhängig leben kann", ist Mukami sicher.