Kehraus und Neustart

Die Redewendung "zwischen den Jahren" bezeichnet ein ganz besonderes Lebensgefühl

27. Dezember 2011

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"Zwischen den Jahren" ist nicht nur eine Redewendung für die Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag am 6. Januar. Sie bezeichnet auch Tage mit einem ganz besonderen Lebensgefühl. "Für mich zählen sie zur schönsten Zeit des Jahres", schwärmt die Bremerin Sabine Hatscher. "Ich räume auf, was liegengeblieben ist, ganz real und auch im übertragenen Sinn." Wie viele andere auch blickt sie auf das alte Jahr zurück und wagt innerlich einen Ausblick auf das, was kommt.

Auch für den leitenden Theologen der Bremischen Evangelischen Kirche, Renke Brahms, haben die Tage etwas Besonderes. "Irgendwie scheint die Zeit ein wenig stillzustehen", meint er. "Das Leben geht ein bisschen langsamer - jedenfalls für diejenigen, die dann nicht an der Umtauschkasse stehen." Seinen Ursprung hat das geflügelte Wort in einem Streit über den Zeitpunkt der Geburt Christi und den Jahresanfang zu Beginn der neuen Zeitrechnung.

"Der Begriff erinnert daran, dass je nach Gegend und Zeit sowohl am 25. Dezember, am 1. Januar als auch am 6. Januar Jahresbeginn gefeiert wurde", erläutert der Kölner katholische Theologieprofessor Manfred Becker-Huberti. Er hat sich ausführlich mit dem Brauchtum zum Jahreswechsel beschäftigt und weiß, dass sich erst seit dem 17. Jahrhundert der 1. Januar als offizieller Jahresbeginn mit allgemeiner Verbindlichkeit festigte: "Die Zeit zwischen den verschiedenen Jahresanfängen, das war die Zeit zwischen den Jahren."

Vor Christi Geburt begann das römische Amtsjahr am 1. Januar. Ein Datum, das mit dem am ersten Advent beginnenden christlichen Kirchenjahr in Konflikt geriet. Im Mittelalter wechselte die Kirche den Neujahrsbeginn mehrmals, bis Papst Innozenz XII. im Jahr 1691 den letzten Tag des Jahres endgültig festlegte und nach Papst Silvester I. benannte.

Becker-Huberti erzählt von vielerlei Volksbräuchen zwischen den Jahren. Vom Neujahrstanz, der für Harmonie steht, die das ganze Jahr über anhalten soll. Von Glücksbringern wie Kleeblättern, Hufeisen und Schornsteinfegern. Weit verbreitet sind heute noch Aberglauben und Bräuche, nach denen in dieser Zeit keine Wäsche gewaschen, nicht gesponnen und erst recht nicht genäht werden darf, um ja kein Unheil heraufzubeschwören. Und angeblich gehen alle Träume dieser Nächte im neuen Jahr in Erfüllung.

Zu den wiederkehrenden Ritualen gehören zudem Neujahrvorsätze, die allerdings selten durchgehalten werden. Schluss mit Zigaretten und Alkohol, gesünder essen und mehr bewegen für eine schlanke Linie - von Vorsätzen dieser Art hält die Bremerin Sabine Hatscher wenig. "Ich arbeite lieber Dinge nach, die mir beim Aufräumen in die Hände gefallen sind, ich ordne Fotoalben oder rede bei Kerzenschein und Tee mit Freunden."

Renke Brahms, der auch Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland ist, macht die Zeit Mut, weil sie dazu einlädt, im neuen Jahr aktiv zu werden: "Wir sind nicht Gefangene der manchmal so bedrückenden Gegenwart und keinem unabänderlichen Schicksal ausgeliefert. Wir dürfen den Blick nach vorne wagen, der mit Hoffnung, erhobenem Haupt und aufrechtem Gang verbunden ist. Das kann Mensch und Welt verändern."

Zwischen den Jahren ist für Brahms zudem eine treffende Beschreibung christlicher Existenz überhaupt. "Das bedeutet manches Mal, zwischen den Stühlen Platz zu nehmen, wenn wir uns äußern zu Fragen der sozialen Spaltung unserer Gesellschaft, zu ethischen Fragen am Beginn oder am Ende des Lebens oder zu Krieg und Frieden." Das sei nicht immer bequem. "Aber es ist ein für unsere Gesellschaft wichtiger Ort." (epd)