"Endlich geht es einmal um mich"

20 Prozent aller Mütter leiden unter einem behandlungsbedürftigen Erschöpfungssyndrom

30. November 2011

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"Ich habe so viel geschlafen wie schon lange nicht mehr." Die dreifache Mutter Silke Oesterle strahlt und macht einen rundum zufriedenen Eindruck. Sie erholt sich drei Wochen lang in der Evangelischen Frauen- und Mütterkurklinik in Bad Wurzach. Ihre drei Kinder im Alter von sieben, drei und einem Jahr werden in dieser Zeit zu Hause in Leonberg von einer Familienpflegerin und nach Feierabend auch vom Papa versorgt.

Dem Kuraufenthalt ging allerdings eine mühsame Genehmigungsprozedur voraus. In diesem Fall hat sie zweieinhalb Jahre gedauert. Drei Mal wurde der Kurantrag von der DAK abgelehnt, und wäre nicht die Kurberatung der Diakonie gewesen, hätte die Praxis-Managerin diese Auszeit wohl nicht nehmen können. "Dabei haben wir Mütter doch ein Recht auf eine Kur", stellt sie fest und bekommt dabei Unterstützung von Diplom-Sozialpädagogin Rebekka Müller, Einrichtungsleiterin für den psychosozialen und therapeutischen Bereich. Sie zählt schon seit zehn Jahren zum festen Personalstamm der Klinik und kennt deshalb die Kämpfe um Kuraufenthalte sehr genau.

Seit 2007 haben Familienfrauen einen gesetzlichen Anspruch auf eine Vorsorge- oder eine Rehabilitationsmaßnahme, wenn sie durch ihre hohen Belastungen erschöpft sind und psychosomatische Gesundheitsstörungen entwickeln. Dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handelt, belegt eine Studie, nach der rund 20 Prozent aller Mütter unter einem behandlungsbedürftigen Erschöpfungssyndrom leiden. So ist auch diese Indikation der häufigste Anlass dafür, dass Frauen in die Bad Wurzacher Einrichtung kommen. Außerdem klagen die Patientinnen über Rückenbeschwerden, depressive Verstimmungen, Ängste, Kopfschmerzen, Übergewicht und Schlafstörungen, wenn sie in der Riedstadt eintreffen. Für alle Teilnehmerinnen einer Gruppe beginnt die Kur übrigens gemeinsam. Das gehört zum Konzept des Hauses. Dadurch entsteht eine Gemeinschaft, die nicht durch eine wöchentliche An- und Abreise gestört wird. Das Haus mit seinen 43 Einzelzimmern hat zudem eine überschaubare Größe, vermittelt also durchaus noch eine familiäre und vor allem auch ruhige Atmosphäre. Zum einen durch die Lage im Kurgebiet, eingebettet in die Natur mit Wiesen und Wäldern, zum anderen, weil die Klinik nur Frauen, nicht aber Kinder aufnimmt. Eine Besonderheit - nur sieben reine Frauen- und Mütterkurkliniken gibt es in Deutschland, die übrigen Einrichtungen bieten Mutter-Kind- sowie Vater-Kind-Kuren an.

Auch das trägt dazu bei, tatsächlich einmal Abstand gewinnen können. Auch wenn es am Anfang schwer fällt und manche Kinder Muttis "Abschied auf Zeit" zunächst gar nicht verstehen können. "Das Loslassen war nicht einfach, aber ich muss auch Vertrauen haben, dass es auch einmal ohne mich geht", sagt Silke Oesterle. ((Und dass die Frauen nach der Gesundheitsmaßnahme gestärkt in den Alltag zurückkehren, daran besteht weder für das Team vor Ort noch für die Gäste kein Zweifel.))

"Meine Mutter wollte gleich mit in Kur" erzählt Ute Tokarczyk, 43-jährige Erzieherin und Mutter von drei Kindern im Alter von 18, 16 und neun Jahren. Sie benötigt während der Kur für ihre Familie in Reinheim im Odenwald keine Familienpflegerin mehr, das erleichtert den Kuraufenthalt. Auch ihr Mann sprach ihr gut zu. Wie viele andere Frauen schätzt sie es, dass es "einmal um mich geht und ich mal gefragt werde, was mir gut tut". Nach der Pflege und dem Tod ihres Vaters brauchte sie diese Auszeit dringend. "Ich hatte noch nicht einmal Zeit, um meinen Vater zu trauern. Noch keine Viertelstunde konnte ich mich an sein Grab setzen", berichtet die Erzieherin, die zu Hause aktiv in der Kirche mitarbeitet, so zum Beispiel bei der Vorbereitung für den Gottesdienst und die ökumenische Bibelwoche, im Posaunenchor und Kirchenchor. Sie hat sich im Vorfeld auch bewusst nach einem Haus in christlicher Trägerschaft umgesehen - und fühlt sich in Bad Wurzach gut aufgehoben.

Sie genießt wie viele andere auch die Moorpackungen für den Rücken, die Massagen, die Gymnastik- und Entspannungsangebote. Das benachbarte Gesundheitszentrum Vitalium mit Moor- und Thermalbad bietet ideale Voraussetzungen für Anwendungen oder Nordic-Walking-Strecken, und Spaziergänge im Ried verlocken selbst in der kühleren Jahreszeit zu Freiluftaktivitäten. In der hauseigenen Küche wird vollwertig gekocht und in Vorträgen zeichnen Fachkräfte den Vorteil dieser gesunden Ernährungsweise noch einmal nach - mit dem Ziel, dass sie sich nach der Kur in den Küchen der Teilnehmerinnen durchsetzen soll.

Neben Fitnessprogramm und Fortbildung bleibt endlich auch Zeit zum Nachdenken über die eigene Situation. Das kann durchaus auch belastend sein. Deshalb gibt es Einzel- und Gruppengespräche mit Fachkräften. Während die Allgemeinärztin sich um die körperlichen Beschwerden kümmert, eine Psychotherapeutin Hilfestellung für den Umgang mit den jeweiligen Problemen gibt, macht Diakonin Marianne Trinkle spirituelle Angebote. Sie lädt zum meditativen Tanz und geistlichen Impuls, spricht über Wüstenerfahrungen und Kraftquellen, diskutiert mit den Frauen über ihre Gottesbilder und Glaubenszweifel. Beim Thema "Bürsten und Beten" geht es beispielsweise um die biblischen Frauen Maria und Martha und die Wertschätzung von Frauenarbeit. Seit eineinhalb Jahren ist Trinkle jetzt als Diakonin in Bad Wurzach tätig und hat festgestellt, dass ihre Einladungen oft auch von Frauen angenommen werden, die sonst nichts mit Kirche zu tun haben. Selbst Frauen muslimischen Glaubens kommen zum Abendsegen. Ein ganzheitlicher Ansatz für den dreiwöchige Aufenthalt in der Evangelischen Frauen- und Mütterkurklinik in Bad Wurzach. Der Körper und Seele gut tut, wie die Kurgäste immer wieder betonen. (Ev. Landeskirche Württemberg)