Kirche auf hoher See

"Niemand geht hier so von Bord, wie er gekommen ist"

05. Oktober 2011

20111005_vandering470

Der Name ist Programm: "Verandering" heißt der historische Segelklipper, der seit zehn Jahren unter der Flagge der Bremischen Evangelischen Kirche auf Nord- und Ostsee unterwegs ist. Das ist holländisch und bedeutet schlicht "Veränderung". "Niemand geht hier so von Bord, wie er gekommen ist", verspricht Projektleiter Uli Ruback. Abenteuer, Gemeinschaft, Spiritualität und die überwältigende Natur im Nationalpark Wattenmeer locken alljährlich Hunderte Gäste auf Deutschlands einzige hochseetaugliche Kirche.

Heute entern Fünf- und Sechsjährige aus einem Kindergarten zum Schnuppertörn auf der Weser. "Eine Hand für das Schiff, eine Hand für dich selbst", erklärt Kapitän Axel Moor die wichtigste Regel an Bord. "Immer gut festhalten, damit keiner ins Wasser fällt", wiederholt der 54-jährige ehrenamtliche Skipper vor den Mädchen und Jungen, die natürlich auch mit Schwimmwesten gesichert sind.

"Käpt'n, wann geht's los?", fragt der fünfjährige Etienne. Moor startet den 190-PS-Schiffsdiesel des Plattbodenschiffes, das 1898 auf einer holländischen Werft für einen deutschen Reeder gebaut wurde. Ein Vibrieren durchzieht Rumpf und Aufbauten. "Cool", freut sich Finn, ebenfalls fünf Jahre alt, der schon ganz aufgeregt ist. Schnell noch bei der Schiffsleitzentrale "Weser-Traffic" anmelden. "Habe verstanden, gute Fahrt", wünscht eine Frauenstimme per Funk. Dann tuckert die "Verandering" auf den großen Fluss.

Moor ist seit Projektbeginn dabei und gehört zu den mehr als 70 Ehrenamtlichen, die unter Begleitung des Hauptamtlichen Ruback den 25 Meter langen und 80 Tonnen schweren Zweimaster in Fahrt halten. "Hier muss jeder Rücksicht nehmen und mithelfen, da geht nichts ohne das Team", beschreibt er die Herausforderung an Bord. "Du kriegst allein kein Segel hoch - da reißt du dir einen Wolf am Tau", sagt der Mann, der im Hauptberuf als Bauingenieur arbeitet.

Freizeit- und Bildungsfahrten gehören zum Angebot des gemeinnützigen Projekts. Jugendliche schwärmen besonders von mehrtägigen Segeltörns ins Wattenmeer. Erlebnispädagogische Aktionen wie diese seien ideal für soziales Lernen, betont der Lüneburger Erziehungswissenschaftler Jörg Ziegenspeck. "Sie verbinden Umweltfragen mit der gemeinsamen und demokratischen Lösung von Problemen, fördern die Kreativität und die emotionale Intelligenz."

Selbst die Kleinsten können im Nu Steuerbord (rechts) und Backbord (links) unterscheiden. Teenager kochen, putzen und waschen, wie sie es zu Hause selten tun. Andere führen das Logbuch, knüpfen Palstek und Achterknoten. In den Kojen ist Platz für 20 Gäste, die Crew hat eigene Unterkünfte. Die Gezeiten mit Ebbe und Flut diktieren den Tagesablauf, wenn die "Verandering" etwa zwischen den Inseln kreuzt.

"Das Watt ist eine ganz eigene Welt", berichtet Bootsfrau Manuela Blome (29) von der Faszination, die bisher noch fast jeden an Bord gepackt hat. "Das ist nicht nur Schlamm und Schlick - da ist richtig Leben drin."

Einige Jungs konnten es an diesem Vormittag gar nicht abwarten, um mal am großen Rad zu drehen. Doch mittlerweile drängeln sich auch die Mädchen hinter Axel Moor, um das Steuer in die Hand zu nehmen. "Jeder kommt dran", verspricht der Skipper. Und sichtlich stolz tasten sich Finn und die anderen Kurzen wenig später Richtung Vorschiff, wenn sie ein paar Meter selbst steuern durften. "Das werden sie nicht so schnell vergessen", schmunzelt Moor. "Davon erzählen sie noch in ein paar Jahren." (epd)