Paulus in der Talkshow

Die evangelische Kirche sucht mit einem dreitägigem Kongress in Berlin die Nähe der Kulturmacher

14. September 2011

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Über Jahrhunderte haben ihn Künstler in ein langes Gewand gesteckt: mit Halbglatze und Bart, einer Schriftrolle oder einem Buch und Schwert in der Hand ist er auf Gemälden und Altären zu sehen: Paulus von Tarsus, der weitgereiste Missionar des Urchristentums, dem im Neuen Testament 13 Briefe zugeschrieben werden. In Berlin ist jetzt ein ganz anderer Paulus zu sehen: In einem Musiktheaterstück, das an diesem Donnerstag uraufgeführt wird, ist er kein Held und Heiliger mehr, erscheint vielmehr in aktueller Alltagskleidung.

Helle Hose, weißes Hemd, Blouson - so sucht der vom unnachgiebigen Christen-Verfolger zum glühenden Jesus-Verehrer Gewandelte seinen Weg durch die Moderne. Mit der Uraufführung von "Paulus. Das ängstliche Harren der Kreatur" eröffnet die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am Donnerstagabend ihren ersten Kulturkongress. Das dreitägige Programm umfasst Workshops, Lesungen, Konzerte sowie Filmaufführungen. Im Mittelpunkt steht Paulus, der "urchristliche Reformator" als Figur der Gegenwart, "an der sich Grundsatzfragen zu Religion, Fundamentalismus und Freiheit widerspiegeln", wie es in der Ankündigung heißt.

"Wir geben einen übergeschichtlichen Blick auf Paulus, keine historische Geschichte", beschreibt Regisseurin Annette Kuß das Musiktheater-Projekt in einer Probenpause. Aufführungsort ist die in den 90er Jahren wiederaufgebaute St. Elisabeth-Kirche in Berlin-Mitte, ein von Karl Friedrich Schinkel im Stil der griechischen Antike gehaltener und im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigter Bau.

Den Paulus spielt der aus diversen Fernseh-Produktionen bekannte Jens Schäfer. Das Libretto für diese Auftragsarbeit der EKD schrieb der 42-jährige Christian Lehnert, Orientalist, Theologe und Lyriker. Die klassisch-jazzig gehaltene, meist eingängige Musik stammt von dem 1954 geborenen schwedischen Komponisten Thomas Jennefelt.

Die Kulturbeauftragte des Rates der EKD, Petra Bahr, spricht von einer "Wiederaneignung der Texte von Paulus durch die Künste". Dabei nutzt Christian Lehnert weitgehend nur Zitate: "Ich versuchte, die Impulse und Verstörungen aufzunehmen, die ihn zum Sprachschöpfer machten, zu einem Grenzgänger am Rand des Unaussprechlichen", sagt Lehnert.

So greifen die beiden ersten Szenen entscheidende Erlebnisse des historischen Paulus auf: seine Beteiligung an der Steinigung des Stephanus um 36 nach Christus und seine Bekehrung zum Christen auf dem Weg nach Damaskus. In dem Bemühen, für sein Konzept der Nächstenliebe zu werben, verschlägt es den modernen Paulus dann unter anderem auch in eine Fernseh-Talkshow, in der die gesellschaftliche Orientierungslosigkeit thematisiert und er zu guter Letzt vor die Tür gesetzt wird. Weitere Stationen sind etwa eine Party und Jugendrevolten in Vorstädten.

Geschickt nutzt das Ensemble dabei den gesamten Kirchenraum als Spielort. Der Paulus und die acht Sänger agieren auf Bühne und auf Stegen, die wie Fischgräten in den Zuschauerraum hineinragen. So kann es passieren, dass plötzlich eine Stimme im Rücken eines Zuschauers auftaucht. "Das ist aber beabsichtigt", sagt Dramaturgin Carola Söllner. Begleitet werden die Sänger von der Lilienfelder Cantorei Berlin, zwei Saxophonen und umfangreicher Percussion.

Das Musiktheater wird während des Kongresses drei Mal aufgeführt, an diesem Donnerstag sowie Samstag und Sonntag. Darüberhinaus gibt es bislang keine weiteren Termine. Der künstlerische Leiter des Musiktheaters, Klaus-Martin Bresgott, weiß aber schon von diversen Interessenten, die die Uraufführung "mit Spannung erwarten".