Pferde prusten im Gemeindehaus

Bundesweit 7.000 Posaunenchöre bereiten sich auf das "Jahr der Kirchenmusik" vor

01. September 2011

Posaunen

Mal klingt es, als ob eine ganz Horde Pferde prustet. Mal hört es sich an, als ob eine Rotte Formel-1-Flitzer über den Stadtkurs von Monaco zischt. Mit sichtlichem Spaß trainiert der sieben- bis neunjährige Posaunen-Nachwuchs im niedersächsischen Kirchwalsede die Lippen. Wer sein Ohr an die Tür des Gemeindezentrums der örtlichen St. Bartholomäus-Kirche legt, wundert sich: Abwechselnd geht die Luft locker-schlabbernd, dann wieder gepresst und mit leicht errötetem Kopf durch die Lippen.

Die Bläserinnen und Bläser in dem kleinen Dorf am Rande der Lüneburger Heide gehören zu den etwa 7.000 Posaunenchören, die unter dem Dach des Evangelischen Posaunendienstes Deutschland mit Sitz in Bielefeld organisiert sind. Insgesamt haben sie rund 120.000 aktive Mitglieder. Eine stattliche Zahl, die im wahrsten Sinne des Wortes eine unüberhörbare Rolle spielen wird, wenn die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 2012 ihr "Jahr der Kirchenmusik" feiert.

Allein in der hannoverschen Landeskirche sind es 13.000 ehrenamtliche Bläserinnen und Bläser, die in 670 Chören spielen. Kirchwalsede mittendrin: "Wir stellen seit vielen Jahren eine intensive Nachwuchsarbeit auf die Beine", sagt Gisela Beulshausen, die an diesem Nachmittag die Stunde leitet. Regelmäßig wirbt sie in den Schulen, alle paar Jahre öffnet eine neue Anfängergruppe. Der Chor stellt die Instrumente, die Gruppenstunden sind frei. Nur die Noten kosten.

Derzeit sind es 20 Kinder in drei Kreisen und im Einzelunterricht, die bei der pensionierten Lehrerin üben. Das ist auch nötig, damit aus Luft, Fingerakrobatik und einem Instrument Musik entsteht, die sich hören lassen kann. Die richtige Körperspannung ist dabei nicht alles, aber nichts geht ohne sie. "Ich kenne viele, die Trompete spielen", sagt die neunjährige Johanna zwischen zwei Übungseinheiten mit einem Anflug von Respekt in der Stimme. "Das möchte ich auch gerne können."

Ganze Familien spielen mit - vom kleinen Steppke über den Jugendlichen mit gegeltem Haar bis zum weißhaarigen Großvater. "Viele Posaunenchöre haben familiäre Züge und sind tief verwurzelt in den Gemeinden", berichtet Pfarrer Bernhard Silaschi, Leitender Obmann im Evangelischen Posaunendienst Deutschland. "Großvater, Vater, Enkel, Frauen und Männer, Akademiker neben dem Handwerker und dem Arbeiter - da wird generationen- und milieuübergreifend geblasen."

Das bleibt natürlich nicht ohne Einfluss auf das, was gespielt wird. Das Notenmaterial habe sich stark verändert, betont der 55-jährige Silaschi. Zwar sei der Choral nach wie vor die Brot-und-Butter-Literatur. Daneben gebe es aber Jazz, Swing oder auch Hip-Hop.

"Wenn wir junge Menschen gewinnen wollen, müssen wir uns ihrem Musikstil öffnen", bekräftigt Silaschi. In Kirchwalsede reicht das Repertoire vom Anfängerkanon über doppelchörige Werke bis zu Stücken von Popikone Michael Jackson. "Da ist nichts altbacken - und so ein Bachsatz ist auch nicht schlecht", schwärmt der 16-jährige Tim Kunike, der schon seit zehn Jahre dabei ist und mittlerweile Gisela Beulshausen als rechte Hand unterstützt. "Faszinierend ist: Man lernt hier immer etwas dazu."

"Posaunenchöre sind einerseits Gemeindearbeit, andererseits unterstützen sie den Dialog zwischen Kirche und Gesellschaft", sagt der Vorsitzende der "Stiftung Posaunenwerk" in der hannoverschen Landeskirche, Hartmut Merten. "Durch die Musik helfen sie, Menschen Lust auf Glaube und Kirche zu machen", ist der Lüneburger Pastor überzeugt.

Der Klang der Posaunen bringe etwas "vom besonderen Glanz des Himmels auf die Erde", formuliert es Silaschi. Er freut sich über engagierte Übungsleiterinnen wie Gisela Beulshausen, die mit Spaß Musik vermitteln. "Ohne sie geht nichts", sagt er, erwähnt aber auch die Kraft der Musik selbst: "Sie öffnet die Herzen - und Posaunen vermitteln einfach Lebensfreude."