Software mit 2.000 Jahren Tradition

Indianische Gemeinschaften in Mexiko setzen auf Open-Source-Programme

09. August 2011

Computerkurs in Mexico City, Ciudad de Mexico

Wie pflegt man die Kultur der Ureinwohner in einer globalisierten Welt? Für Bulmaro Ventura ist die Antwort ebenso einfach wie einleuchtend: "Wir setzen auf freie Software. Denn sie entspricht dem Denken, das unser Volk schon seit 2.000 Jahren hochhält: Wissen teilen statt besitzen. Das ist unsere Kosmovision, unser Verständnis von der Welt."

Der 66-jährige Mexikaner vom Volk der Zapoteken gehört zu einer Generation, die auf dem Land mit der indianischen Sprache und Kultur aufwuchs. Als junger Mann zog er in die Riesenmetropole Mexiko-Stadt, wie so viele andere.

"Wir sind Ureinwohner ohne eigenes Territorium", sagt Ventura über die Situation der 800.000 Indigenen in der Hauptstadtregion. Das sind so viele an einem Ort wie sonst nirgends auf dem amerikanischen Kontinent. Zugleich sind sie unter den fast 20 Millionen Menschen in Mexiko-Stadt und ihren Vororten.

Ventura gründete darum vor zehn Jahren die "Versammlung der indigenen Migranten" (AMI), eine Plattform für die 62 indianischen Ethnien Mexikos. So unterschiedlich ihre 350 Sprachen und Dialekte sind, eines ist ihnen gemeinsam. Sie praktizieren den "Tequio", die freiwillige, unbezahlte Arbeit für die Gemeinschaft. Nach diesem Prinzip funktionieren Tausende von mexikanischen Indiodörfern, von den Maya im Süden bis zu den Tarahumara im Norden.

Auch die freie Software mit offenem Quellcode, Open Source genannt, entstand so. Die bekanntesten Programme sind die Windows-Alternative Linux, der Browser Firefox, die Office-Anwendung OpenOffice oder Wordpress zum Programmieren von Webseiten. Gemeinsam ist den Anwendungen, dass sie von Programmierern auf der ganzen Welt ehrenamtlich entwickelt und verbessert wurden.

Für AMI ist es darum naheliegend, konsequent freie Software zu nutzen. Mit dem Programm audacity betreibt AMI beispielsweise kostengünstig einen digitalen Radiosender für die Ureinwohner in Mexiko-Stadt. Die Erfahrungen teilt AMI wiederum mit indianischen Gemeinschaften im ganzen Land und bildet Interessierte darin aus, selbst digitale Radios aufzubauen.

Aus diesem Grund wird AMI auch von der deutschen Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt, die der Linkspartei nahesteht. Der Mexiko-Direktor der Stiftung, Torge Löding, zeigt sich überzeugt: "Freie Software vermindert die digitale Kluft und stärkt lokale Gemeinschaften."

Ein handfester Vorteil der freien Software sind dabei die vergleichsweise einfachen Übersetzungen in lokale Sprachen, im Expertenjargon "Lokalisierung" genannt. So gibt es den Internetbrowser Firefox inzwischen in den zwei verbreitetsten Ureinwohnersprachen Mexikos, in Zapoteka und Nahuatl. An zwei weiteren Lokalisierungen arbeiten derzeit mexikanische Programmierer - ehrenamtlich, versteht sich.

"Lokalisierungen helfen, den Menschen in den Dörfern die Angst vor der ihnen fremden Computertechnik zu nehmen", lobt Apolinaris Gonzalez, Informatiker bei AMI. "Mit gewöhnlicher kommerzieller Software wie etwa derjenigen von Microsoft könnten wir so etwas niemals tun", betont er.

Auch der heute 37-jährige Mixteke Gonzalez kam als junger Mann in die Hauptstadt. Im Gegensatz zu vielen anderen Indigenen gelang ihm der berufliche Aufstieg. Schon während seines Informatik-Studiums spezialisierte er sich auf freie Software. Er sieht darin die Chance, den "digitalen Rückstand der Ureinwohner" aufzuholen.

Zugleich beobachtet Gonzalez, dass er mit seinen Kursen in freier Software auch die junge Generation der bereits in der Hauptstadt geborenen Ureinwohner anspricht. Viele von ihnen wollen von den Bräuchen der Großeltern nichts mehr wissen und sprechen ebensowenig deren Sprache. Doch vor dem Bildschirm begreifen sie schließlich, was indigene Kultur ausmacht: "Jeder trägt etwas zum gemeinsamen Projekt bei. Indem wir freie Software verwenden, stärken wir unsere Gemeinschaft."

Noch haben viele Indianer keinerlei Erfahrung im Umgang mit Computern. Gonzalez lässt sich dadurch nicht beirren. Er sieht vielmehr die Chance, eine neue, andere Kultur aufzubauen. "Die freie Software als Technologie der Ureinwohner ist unser Traum", sagt er. "Darauf arbeiten wir hin." (epd)