Starke Impulse für Kirche in der Fläche

Profilierte Regionen, mutiger Rückbau, gewandelte Rollen

17. Juni 2011

Ländlicher Raum

Vom 14. - 16. Juni fand die erste Land-Kirchen-Konferenz der EKD in Gotha statt. An drei Tagen arbeiteten ca. 70 Teilnehmende aus allen 22 Landeskirchen intensiv an der Herausforderung, wie kirchliche Präsenz in immer dünner besiedelten ländlichen Räumen zukünftig aussehen kann.

Der erste Tag stand unter dem Leitwort „Reflexion“. Dr. Thies Gundlach (Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD) ermutigte zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme. Auch in konzeptioneller Hinsicht führe ein „Leben auf Pump“ nicht weiter; die zentrale Aufgabe bestehe darin, das eigene „Innerste nach Außen“ zu wenden und so offen zu werden für neue Formen der Gestaltung von Kirche und für die Feier des Geheimnisses Gottes. Sabine Peters (Schriftstellerin, Hamburg) vermittelte einen literarischen Zugang zu einem Lebensgefühl auf dem Lande, in dem die „Schrammen der Heimat“ und die Risse im vermeintlichen Idyll deutlich wurden. Dr. Simone Helmle (Soziologin, Stuttgart) führte aus empirischer Sicht die zunehmende Peripherisierung vieler Regionen in Deutschland vor Augen, die nicht nur zu einer massiven Ausdünnung in bestimmten Landstrichen führen wird, sondern auch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Lebensräumen weiter steigern wird. Dr. Tobias Sarx (Kirchengeschichtler, Marburg) schließlich entwickelte konzeptionelle Perspektiven, wie in 2000 Jahren Kirchen mit der immer wieder neu auftauchenden Herausforderung der Fläche umgegangen sind - von den Hausgemeinschaften der alten Kirche über die Zentrenbildung eines Bonifatius bis zur Institutionalisierung eines Evangelistenamtes Ende des 19. Jahrhunderts. Die Diskussion machte deutlich, dass angesichts der fortschreitenden Prozesse in den betroffenen Regionen eine bloße „Prozessoptimierung“ des bestehenden Systems nicht möglich ist, sondern es einer mutigen Veränderung des Systems kirchlicher Präsenz bedarf - einschließlich eines befreienden Loslassens von früheren Strukturen und Arbeitsfeldern.

Der zweite Tag mit dem Schwerpunkt der „Hospitation“ führte vor Augen, was dies konkret für einen Kirchenkreis wie Gotha bedeutet - als einer volkskirchlichen Region im Übergang, für die Prognosen mit einem weiteren Bevölkerungsschwund von etwa einem Drittel der Einwohner in den nächsten 15 bis 20 Jahren rechnen. Beispiele wie eine neu eingerichtete Radwegekirche (Herbsleben), eine literarisch-kulturelle Arbeit (Wandersleben) oder eine missionarisch wirksame Kirchenmusik (Warza) zeigten, wie unter diesen Voraussetzungen eine Wendung der Kirche nach außen erfolgen kann. Vor allem die geistliche Spurensuche „Gott in Gotha“ machte deutlich, welch große Rolle Kirche als kulturelle Beheimatungskraft in ländlichen Räumen wie diesem spielt.

Am dritten Tag ging es um die „Perspektiven“, die sich aus der Konferenz für die Weiterarbeit ergeben. Inhaltlich fokussiert sich die Diskussion auf drei zentrale Themen: Erstens wird die Region in Zukunft von noch größerer Bedeutung sein - und zwar nicht nur als strukturelle Verwaltungseinheit, sondern als eine inhaltliche Gestaltungsgröße. Die Frage, wie sich Zentralität und Dezentralität, der „genius loci“ einzelner Orte und die Zusammenarbeit in größeren Einheiten auf gelingende Weise verbinden lassen, wird dabei entscheidend sein. Zweitens braucht es, so der Grundkonsens der Teilnehmenden, den Mut zu einem wirklichen Rückbau überdimensionierter Strukturen. Nur eine klare Konzentration und Posterioritätensetzung wird davor bewahren, die ehrenamtlich wie hauptamtlich Mitarbeitenden zu verschleißen, und die geistliche Kraft vermitteln, sich wirklich nach außen zu wenden. Besonders die Rückmeldung der ökumenischen Prozessbeobachterin, Frau Dr. Aulikki Mäkinnen (Pastorin, Kuopio/Finnland) ermutigte dazu, Schritte der Veränderung zu gehen. Es sei kein Problem, so Mäkinnen, mit wenigen Christen in großen Gebieten zu leben und gelingende Gemeindearbeit zu gestalten. Schwierig sei es nur, wenn es immer neue, zu kleine Reformen ohne Ruhepausen gebe - und damit das Vertrauen in die Strukturen verloren gehe. Dies bestätigte aus wissenschaftlicher Perspektive auch Dr. Thomas Schlegel (Theologe, Greifswald): Nicht peripherere Räume seien das Problem, sondern der Prozess der Peripherisierung. Es brauche die Kunst der Kontextualität, die „Zeichen des Raumes“ zu lesen - und dann in der jeweiligen Region eigene, neue Wege zu gehen. Drittens müsse neu über die Veränderung nachgedacht werden, die dies für die Pfarrerinnen und Pfarrer bedeute - für ihr Selbstverständnis, ihr Gemeinde- und Kirchenbild und ihre Kooperationsfähigkeit.

Große Einmütigkeit bestand bei den Teilnehmenden darüber, dass das Thema „Kirche in der Fläche“ im Reformprozess der EKD und in den Landeskirchen als ein zentrales Zukunftsthema weiter verfolgt werden sollte. Eine weitere Land-Kirchen-Konferenz der EKD in Zusammenarbeit mit den Fachleuten vor Ort in einer Region ist dazu sehr erwünscht.