"Plötzlich allein verantwortlich"

Zukunftsangst und Bürokratie macht vielen Alleinerziehenden zu schaffen

23. Mai 2011

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Durch den Tod seiner Partnerin wurde Dietmar Franzen vor zwei Jahren alleinerziehender Vater. "Sie hat noch unsere Tochter ins Bett gebracht. Dann brach sie aufgrund einer Gehirnblutung auf der Toilette zusammen", erinnert sich der 36-jährige Steinmetz, der mit seiner vierjährigen Tochter Carina in einem Westallgäuer Dorf in der Nähe von Leutkirch lebt.

Die Erfahrung, plötzlich für die Erziehung alleine verantwortlich zu sein, müssen viele Elternteile machen. Das Schicksal der Familie Franzen ist aber eher untypisch: Etwa 90 Prozent der rund 16,6 Millionen Alleinerziehenden in Deutschland sind dem Statistischen Bundesamt zufolge Frauen. Zudem ist in etwa 19 von 20 Fällen nicht der Tod eines Partners, sondern das Scheitern der Beziehung der Auslöser.

So wie bei Miriam Willer (Name geändert). "Alleinerziehend sein, heißt kaum Freizeit, körperliche und seelische Überbelastung, Zukunftsängste und viel Bürokratie", klagt die 36-Jährige, die sich bereits vor der Geburt ihres inzwischen dreijährigen Sohns von dessen Vater getrennt hatte. "Alles machst du alleine, du hast keine Zeit mehr für Sport, wirst misstrauisch beäugt und lebst irgendwie abseits der Gesellschaft."

Auch beruflich geraten Alleinerziehende leicht ins Abseits. Nur knapp 60 Prozent der Alleinerziehenden konnten 2009 laut Statistischem Bundesamt ihren Lebensunterhalt überwiegend aus Erwerbstätigkeit decken; 41,7 Prozent hatten monatlich weniger als 1.300 Euro zur Verfügung.

Vorwürfe wie "Die hängen doch eh den ganzen Tag vor dem Fernseher" seien völlig fehl am Platz, stellt Sozialpädagogin Kirsten Klockhaus von der Psychologischen Beratungsstelle in Sonthofen klar. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Birgit Raimund leitet sie eine Gruppe für Alleinerziehende. Die Frauen bemühten sich sehr, wieder ins Berufsleben zurückzufinden. "Sie stehen unter einem unglaublichen Leistungsdruck."

Die volle Berufstätigkeit während einer bis 17 Uhr dauernden Hortbetreuung sei jedoch eine realitätsfremde "Just-in-time-Rechnung", sagt Edith Schwab, Bundesvorsitzende des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter. Sie kritisiert insbesondere das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs, das vorsieht, dass Alleinerziehende mit einem Erstklässler ganztags arbeiten können, wenn ein Schülerhort bis 17 Uhr zu Verfügung steht. Das Gericht lasse außer Acht, dass selbst bei kurzen Wegen eine alleinerziehende Mutter auf ihre Mittagspause verzichten müsste, um ihr Kind pünktlich abholen zu können.

Wenn die Mütter nach einem vollen Berufstag "mit dem Kind am Bein" noch einkaufen, kochen, waschen und putzen sollten, kritisiert Schwab, bliebe ihnen keine Zeit für ganz normale Zuwendung wie Gespräche und Spiele mit dem Kind. "Von der eigenen Erholung ganz zu schweigen."

"Wir helfen den Betroffenen, Ressourcen aufzudecken und offen über ihre Gefühle zu sprechen", sagt Birgit Raimund über die Arbeit in ihrer Gruppe. "Da können auch mal die Tränen laufen, da kann ich mich schwach zeigen, wirklich mal Frau sein", sagt Miriam Willer. "Und ich kann die Wut auf den Ex-Partner rauslassen oder über Ungerechtigkeiten schimpfen."

Für Franzen wäre eine Selbsthilfegruppe nicht das Richtige. "Ich geh lieber raus in die Natur, wenn mir alles zu viel wird." Jeden Morgen bringt er seine Tochter nach dem gemeinsamen Frühstück zum Kindergarten. Große Unterstützung habe er durch sein persönliches Netzwerk im Dorf erfahren. "Die Nachbarn spielen mit Carina, die Oma holt sie mittags vom Kindergarten ab." Auch die Frau eines Auftraggebers habe schon auf die Vierjährige aufgepasst.

Der Verlust des Partners bedeute immer eine belastende und anstrengende Zeit, sagt Antje Asmus vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter. Dennoch sei es wichtig, sich um Hinterbliebenenrente, Halbwaisenrente und um das Erbe zu kümmern. "Auch Schulden können vererbt werden", warnt Asmus.

Auch bei Trennung und Scheidung durchlebten die Alleinerziehenden ein Wechselbad der Gefühle. Trotzdem müsse man sich der Bürokratie stellen, sich mit Sorge- und Umgangs- sowie Unterhaltsregelungen vertraut machen. Wohlfahrtsverbände, Kirchen und viele Vereine böten Beratung und Unterstützung an. Für die Kinder- und Jugendhilfe sei grundsätzlich das örtliche Jugendamt zuständig, erklärt Asmus. Bei der jeweiligen Gemeinde könnten sich die Betroffenen erkundigen, welche Stelle konkret zuständig sei.

"Am Anfang habe ich nur funktioniert", erinnert sich Franzen an die schwere Zeit nach dem Tod seiner Partnerin. Inzwischen gebe ihm die Entwicklung seiner Tochter Carina wieder Zuversicht. "Wenn ich sehe, wie sie Fortschritte macht, dann denk ich mir: Das pack ich schon."