Eine Patin für Sascha

Stabile Patenschaften sollen Kinder aus Suchtfamilien stärken

12. Mai 2011

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Saschas (Name geändert) knallblaue Augen strahlen vergnügt, als der gebastelte Papierflieger über seinen blonden Kopf gleitet. "Schön, Elika!", jauchzt der Dreijährige. So nennt er seine Patin Angelika E. (Name geändert), die auch an diesem Mittwoch gekommen ist, um Zeit mit ihm zu verbringen und seine alkoholkranke Mutter zu entlasten. E. ist eine von zwölf aktiven Patinnen des Berliner Projekts "Vergiss mich nicht", die regelmäßig Kinder aus Suchtfamilien betreuen.

Durch stabile Beziehungen sollen das Selbstwertgefühl und die Widerstandsfähigkeit der Zwei- bis Elfjährigen gestärkt werden. "Indem die Kinder eine suchtfreie Lebensweise erleben, erfahren sie, dass es noch ein anderes Leben gibt", sagt Projektkoordinatorin Maja Wegener.

Nach Angaben des Suchtforschers Michael Klein kommen in Deutschland rund 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche aus Suchtfamilien, in denen Abhängigkeit oder Missbrauch von Alkohol oder Drogen an der Tagesordnung sind. Süchte wie etwa Kauf- oder Spielsucht seien bei solchen Zahlen noch gar nicht berücksichtigt, ergänzt der Professor der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen.

Dem Berliner Verein "Nacoa" zufolge wird mindestens ein Drittel dieser Kinder selbst suchtmittelabhängig, ein weiteres Drittel entwickle seelische Störungen. "Das Suchtrisiko ist im Verhältnis zur Normalbevölkerung etwa sechsmal höher", sagt auch Michael Klein. Kinder aus Suchtfamilien erhielten zu wenig Aufmerksamkeit: Die Eltern seien mit ihrer Suchterkrankung beziehungsweise der ihres Partners beschäftigt, sagt der Psychologe. Dabei seien stabile Bezugspersonen gerade für diese Kinder sehr wichtig.

Saschas Mutter ist Alkoholikerin mit abstinenten Phasen. Wegen ihrer Sucht musste die Berliner Hartz-IV-Empfängerin und alleinerziehende Mutter bereits ein Kind in Obhut der Behörden geben, so dass nur noch Sascha bei der Mittvierzigerin wohnt. Seit gut einem Jahr sehen sich Sascha und seine Patin Angelika E. an einem Nachmittag in der Woche.

Dafür nimmt die 56-jährige Steuerberaterin eine einstündige Anfahrt in Kauf. "Wir gehen auf einen Spielplatz, stromern um die Häuser oder fahren U-Bahn", sagt Angelika E. Derweil besucht Saschas Mutter eine Selbsthilfegruppe. Vom Patenschaftsprojekt erfuhr E. durch einen Aushang. "Das hat mich total berührt, ich habe gedacht: Die paar Stunden habe ich auch, um so einem Kind und seiner Familie zu helfen", sagt die kinderlose Single-Frau.

Anfragen nach einer Patin erhält Projektkoordinatorin Wegener vor allem von alleinerziehenden Müttern. Alkohol sei das meistkonsumierte Suchtmittel, aber es gebe auch Fälle von Heroin- und Internetsucht. "Ich bin immer überrascht, wie offen die Kinder den Paten gegenüber sind, wahrscheinlich weil sie viel Fremdbetreuung gewohnt sind", sagt die Sozialwissenschaftlerin und Familientherapeutin.

Bislang sind alle aktiven Patinnen Frauen. Einige haben selbst Suchterfahrungen. Eine Patin ist Mutter eines alkoholkranken erwachsenen Sohnes, eine andere stammt aus einer Suchtfamilie und war früher selbst abhängig. "Uns interessiert, wie gut die Suchterfahrung verarbeitet wurde", sagt Wegener. "Ist das nicht der Fall, findet keine Vermittlung statt."

Einen anderen Ansatz bietet das Patenmodell des Jugendamts Dortmund für Kinder alkoholkranker Eltern: Um dauerhaften Kontakt zu den Kindern zu ermöglichen, sucht Sozialarbeiterin Kirsten Grabowsky nach Paten, die bereits Kontakt zum Kind und der Familie haben - etwa die Oma, die Freundin der Mutter oder im Ausnahmefall auch eine Lehrerin. Im Gegensatz zum Berliner Projekt werden die Paten jedoch nicht in monatlichen Beratungsgesprächen weiterbegleitet.

Auch Angelika E. hofft, dass ihre Patenschaft lange besteht. Ein weiterer Wunsch der engagierten Christin: "Dass der Junge eine Chance hat, ein eigenständiges, gesellschaftsnahes Leben zu entwickeln. Ich hoffe, er sieht, dass er sozusagen nicht nur den Müll der Welt erntet. Sondern dass es Leute gibt, die ihn für wertvoll erachten und für ihn da sind." (epd)