Zuhören, Singen, Vorlesen

Ökumenische „Woche für das Leben“

06. Mai 2011

Sonderbriefmarke zum Ehrenamt

In ihrer Aktentasche liegen ein Märchenbuch, ein Liederbuch, das Gesangbuch und die Bibel: So ausgerüstet geht Gudrun von Wangenheim einmal in der Woche in das Sankt-Konrad-Altenheim im Frankfurt am Main. Dort besucht die ehrenamtliche Mitarbeiterin in der Seelsorge Frauen zwischen Ende 70 und 99 Jahren. Sie hört zu, liest vor, singt oder plaudert einfach nur mit ihnen. "Am Anfang war ich vor allem auf Zuhören eingestellt, aber dann habe ich gemerkt, dass nicht alle reden wollen und es gut ist, wenn man auch etwas mitbringt", sagt sie.

Rund 23 Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich wie Gudrun von Wangenheim ehrenamtlich. Die EU-Kommission hat 2011 zum "Jahr des Ehrenamtes" ausgerufen. "Engagiert für das Leben: Einsatz mit Gewinn" ist auch das Motto der diesjährigen "Woche für das Leben" der beiden großen Kirchen, die an diesem Samstag Mai in Berlin eröffnet wird. Sie hat das Ehrenamt zum Thema, den uneigennützigen, unentgeltlichen Einsatz für andere und das soziale Engagement von Bürgerinnen und Bürgern, wie es heißt.

Bis zu ihrem 61. Lebensjahr hat Wangenheim als Biologin im Paul-Ehrlich-Institut gearbeitet. Drei Jahre vor ihrer Pensionierung hörte die Mutter von zwei erwachsenen Söhnen dann in einem Gottesdienst von der ökumenischen Ausbildung zur ehrenamtlichen Seelsorgerin in Frankfurt am Main, die in dieser Form bundesweit einmalig ist. Genau das Richtige für die Fast-Rentnerin: "Das war dann natürlich ein ganz anderes Lernen als im Beruf", erzählt sie, und man merkt ihr die Begeisterung an. "Bei der seelsorgerlichen Arbeit kommt es nicht auf Leistung und Ziele an, sondern darauf, offen für andere zu sein, zu spüren, was sie möchten."

Vielen Ehrenamtlichen geht es wie ihr. "Es gibt immer wieder Menschen, die sich am Übergang zur Rente sozial engagieren wollen und die dann erleben, dass sie damit auch etwas für sich und ihren eigenen Glauben tun", sagt Pfarrer Winfried Hess, Wangenheims Lehrsupervisor beim ökumenischen Arbeitskreis Seelsorgeausbildung. "Die ehrenamtliche Seelsorge wird als sehr sinnvoll erlebt."

Zusammen mit seinem katholischen Kollegen, Pastoralreferent Gregor Schorberger, gründete Hess 1997 die Seelsorge-Ausbildung. Sie ist orientiert an den Standards der deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie und getragen von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und dem katholischen Bistum Limburg.

Anmelden darf sich nur, wer emotional stabil ist, also nicht gerade in einer Trauersituation oder anderen belastenden Lebensumständen steckt. Die Ausbildung erstreckt sich über ein Jahr: Drei Wochenenden, vierzehntägig ein Seminarabend, und nach der Einführungszeit ein Praktikum von zwei bis drei Stunden in der Woche in Krankenhaus oder Altenheim, im Hospiz, im Gefängnis oder der Gemeinde. Danach schließt man einen Vertrag mit dem Arbeitskreis über ein Jahr. In Gruppengesprächen wird das eigene Verhalten gespiegelt, fünfmal findet eine Einzelsupervisionen statt.

"Moderne Seelsorge ist in erster Linie aktives Zuhören und für andere Dasein", hat Gudrun von Wangenheim erfahren. So hat sie mit einem ihrer Schützlinge im Sankt-Konrad-Heim kürzlich über Wochen eine Phantasiereise gemacht. Die alte Dame war gestürzt und vom Krankenhaus dann direkt ins Altenheim überstellt worden, ohne sich von ihrer Wohnung verabschieden zu können.

Als besondere Form der Seelsorge hat Gudrun von Wangenheim das Singen entdeckt: "Die alten Frauen in 'meinem' Heim kennen noch viele Volks- und Kirchenlieder", sagt sie. "Singen hebt ihre Stimmung." Und fügt hinzu: "Am Anfang habe ich mich nicht getraut, einfach so loszusingen, aber jetzt nehme ich sogar Gesangsstunden und habe selbst gemerkt, wie das beflügelt."

Besonders wichtig ist ihr die Gruppensupervision der Seelsorgeausbildung. "Da können wir über Unsicherheiten reden und uns Ratschläge holen", sagt sie. Belastend findet von Wangenheim ihre Arbeit als Seelsorgerin nicht. "Jedes Lächeln auf den Gesichtern der alten Leute macht mich froh." (epd)

Woche für das Leben 2011