Was geschieht beim Abendmahl?

Bedeutung des Abendmahls aus lutherischer und reformierter Sicht

21. April 2011

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Zum Thema schreiben der Präsident des Kirchenamtes der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Friedrich Hauschildt (Hannover), und der Professor für Systematische und ökumenische Theologie an der Universität Siegen, Georg Plasger, Mitglied des Moderamens (Vorstand) des Reformierten Bundes.

Lutheraner: Gott ist im Abendmahl real gegenwärtig

Die Christenheit feiert seit ihren Anfängen bis heute das Heilige Abendmahl und ist gewiss, dass Christus selbst dazu einlädt. Diese Feier ist eine elementare Handlung: So wie wir Menschen auf ständige Nahrung angewiesen sind, so kommt in der Abendmahlsfeier zum Ausdruck, wie sehr wir auch geistlich der Nahrung bedürfen. Die geistliche Nahrung besteht in dem unerhörten Sachverhalt, dass Gott selbst sich uns in Jesus Christus schenkt, wir aus seinem Geist, aus seiner Gegenwart leben. Dies gilt zwar in jedem Augenblick unseres Lebens, in der Feier des Heiligen Abendmahles aber wird es ausdrücklich und bewusst. Für uns Menschen geht es „nur“ darum, sich diese unerhörte Gabe in der Einfalt des Glaubens schenken zu lassen.

Wegen der fundamentalen Bedeutung dieses göttlichen Geschenks haben die Christen aller Zeiten sich andererseits darum bemüht, sich dieses Geschenk auch denkerisch, theologisch klarzumachen; denn wir sollen ja über unseren Glauben Rechenschaft ablegen. Mit dieser denkerischen Rechenschaft sind nun aber auch Unterschiede in der Christenheit aufgekommen, aus denen bis heute schmerzliche Abgrenzungen ihre Kraft beziehen.

Wenn man sich darüber Rechenschaft ablegt, wie das Abendmahl in der lutherischen Tradition verstanden wird, gilt es zugleich, die alle Konfessionen übergreifende Bedeutung des Heilswillens Gottes in Jesus Christus festzuhalten. Nicht an den scheinbar einander ausschließenden Gegensätzen, sondern an den für uns wichtigen Akzentsetzungen wollen wir uns im Folgenden orientieren. In dieser Perspektive seien einige Aspekte lutherischen Verständnisses genannt:

Gottes Gegenwart ist der entscheidende Angelpunkt

  1. Gottes unsichtbare, aber reale Gegenwart ist der entscheidende Angelpunkt. Wie die im Glauben gewisse reale Gegenwart genau gedacht wird, ob sie stärker als Realpräsenz in den Elementen Brot und Wein oder im Handlungsvollzug im Ganzen gedacht wird, ist eine Frage, die mit dem vorgängigen Wirklichkeitsverständnis zusammenhängt. Gottes Gegenwart ist „realer“ als die dingliche Realität von Brot und Wein. So wahr Gott sich in Jesus in die leibliche Gegenwart hineinbegeben hat, so wahr ist seine Gegenwart mehr als ein Ding.

...vergibt Sünden...

  1. Wie auch immer die Gegenwart Gottes (die unser Vorstellungsvermögen überschreitet!) genau vorgestellt wird – wenn Gott gegenwärtig ist, dann sind die uns bedrückende Sünde, der Tod und der Teufel radikal entmächtigt. In Zeiten, in denen das Schuld- und Sündenbewusstsein dominierte, spielte deshalb der Aspekt der Sündenvergebung eine große Rolle. In Gefährdungs- und Todessituationen tritt der Aspekt des ewigen und unverbrüchlichen Lebens stärker hervor.

...und gibt deshalb Anlass zur Freude

  1. In der Vergangenheit wurden die Abendmahlsfeiern mit den Motiven Sünde und Sündenvergebung geprägt, mit einer ernsten, teilweise düsteren Stimmung. In den letzten Jahrzehnten sind zwei andere Aspekte stärker in den Vordergrund getreten:
    1. Von Gottes Gegenwart erfüllt zu sein, kann nicht individualistisch „genossen“ werden. In Gott zu sein, heißt, Glied seines Leibes zu sein, heißt, mit anderen Menschen über alle Unterschiede hinweg gemeinschaftlich verbunden zu sein. In Gottes Gegenwart ist „kein Jude noch Grieche... nicht Mann noch Frau...“ Gottes Gegenwart macht uns zu Gliedern einer umfassenden Gemeinschaft, ja des Kosmos.
    2. Gottes Gegenwart ist ein Vorgeschmack auf jene himmlische Gemeinschaft und Freude, die uns in seiner ewigen Gegenwart erwartet. So haben die Abendmahlsfeiern einen fröhlicheren Grundton gewonnen.

Reformierte: Das Abendmahl ist ein Gedächtnismahl

  1. Das Abendmahl ist ein Gedächtnismahl, denn – so heißt es in den Abendmahlsworten Jesu: „Solches tut zu meinem Gedächtnis“. „Gedächtnis“ meint aber (auch bei Zwingli schon) mehr als nur einen Erinnerungsakt, den wir Menschen im Abendmahl vollziehen – auch wenn das reformierte Abendmahlsverständnis oft damit identifiziert wurde. Vielmehr nimmt „Gedächtnis“ das alttestamentliche „sachar“ auf. Im jüdischen Passahmahl bekennen die Feiernden, dass sie selber in die Geschichte Gottes mit seinem Volk einbezogen sind; sie bekennen nämlich bis heute: „Wir waren Knechte des Pharao in Ägypten und der Herr führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand“ (5. Mose 6) und verstehen sich als Teil dieser Geschichte: Uns hat der Herr befreit. Die das Abendmahl Feiernden gedenken der Befreiung am Kreuz: Gott hat in Jesus Christus die Welt mit sich selber versöhnt, auch mir sind meine Sünden vergeben. Entscheidend ist nicht die Feier, sondern das Ereignis, auf das es verweist: „Wir sind einbezogen in die Befreiungsgeschichte Gottes.“ Jesus Christus ist nicht nur für die Schuld der damals lebenden Menschen gestorben, sondern für die Sünden der ganzen Welt. Und eben auch für unsere Schuld. Wir sind mit ihm gekreuzigt worden, mit ihm in den Tod gegangen, und mit ihm sind wir bereits jetzt neue Kreatur. Seine Auferstehung bedeutet auch für uns die Hoffnung über unseren Tod hinaus. Das ist das zentrale Ereignis der christlichen Gemeinde. Ohne das gäbe es uns nicht. Im Abendmahl feiert die Gemeinde das Gedächtnis dieses Ereignisses; wir machen aber durch das Abendmahl dieses Ereignis nicht gültig.

Jesus Christus ist gegenwärtig

  1. Deshalb dient das Abendmahl der Vergewisserung des Heils. Bekanntlich wird der reformierten Tradition unterstellt, dass sie sich gegen die Realpräsenz Christi wenden würde. Genau betrachtet ist das Gegenteil der Fall. Im Abendmahl vertrauen wir darauf, dass Jesus Christus in seinem Heiligen Geist gegenwärtig ist – und sich selber den Menschen schenkt. Ihren Glauben gewiss macht – denn das können nicht wir selber machen. Calvin hat deshalb das Abendmahl als „göttliche Pädagogik“ beschreiben können, weil es andere Sinne erreicht als nur das Ohr. Es ist nicht „mehr“ als die Predigt, aber Gott nimmt unsere Schwachheit anders auf und zeigt uns seine Nähe. Im Blick auf die Realpräsenz betonen die Reformierten die Elemente weniger als etwa unsere lutherischen Geschwister. Aber mit der Leuenberger Konkordie von 1973 betonen die Reformierten gemeinsam mit den Lutheranern und Unierten, dass entscheidend nicht die Art und Weise der Gegenwart Jesu Christi ist, sondern dass der Gastgeber Jesus Christus uns einlädt – und nicht wir ihn.

An jedem Sonntag sollte Abendmahl gefeiert werden

  1. Das Abendmahl ist ein Gemeinschaftsmahl. Es feiert eine doppelte Gemeinschaft – die mit Gott und die untereinander. Gott schenkt Gemeinschaft mit sich und wir sind an seinen Tisch geladen – als Gemeinde. Deshalb ist Paulus auch so erbost, dass der Feier der im Abendmahl ausgedrückten Gemeinschaft untereinander das Verhalten der korinthischen Gemeinde nicht entspricht. Wer Abendmahl feiert, kann dies nur in Gemeinschaft der Gemeinde tun. In manchen reformierten Abendmahlsordnungen kommt das dadurch zum Ausdruck, dass die Feiernden gemeinsam am Tisch sitzen. Wichtig ist jedenfalls, dass das Abendmahl keine isolierte Einzelerbauung ist, sondern in die Mitte der Gemeinde gehört. Calvin wollte, dass in jedem Sonntagsgottesdienst das Abendmahl gefeiert wird – und er hat sich nicht durchsetzen können – leider.

(idea)