Vielstimmigkeit ist Trumpf

Ökumene ist „ein sicherer Raum für die Zusammenarbeit in Vielfalt“

08. April 2011

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Wie klingt Einheit im Glauben? Erst mal nur ziemlich unterschiedlich: ein heiliges Murmeln, ein edles Wispern entsteht, wenn einige Dutzend Menschen in knapp einem Dutzend Sprachen das „Vater Unser“ beten. Und am Ende bleibt „…Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen“ übrig. Warum? Sind die Deutschen zu langsam? Ging den anderen die Luft aus? Oder ist Deutsch einfach nur eine lange Sprache? Geheimnis des Glaubens. Während zweier Morgenandachten und einem Abendgebet in Bossey erlebte die Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland dieses polyphone Sprech- und Hörspiel.

Gewollte Vielstimmigkeit ist Trumpf beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf, der 349 Mitgliedskirchen vertritt. Gleich nach Ankunft der EKD verdeutlichte Generalsekretär Olav Fykse Tveit das Prinzip des „differenzierten Konsens“, das bei der Entscheidungsfindung in den ökumenischen Gremien vorherrsche. Das, so Tveit, sei nicht einfach, aber bewährt. So sei der ÖRK zwar „kein Tröster“ aber doch „ein sicherer Raum für die Zusammenarbeit in Vielfalt“.

Viele Gespräche erwarteten die Delegation im Ökumenischen Zentrum. Selbst für gestandene Landesbischöfe sind die feinen Verästelungen der vielen Bünde, Abteilungen und Kooperationsstrukturen nicht leicht zu durchschauen. Gut, die „großen Drei“ kennen alle: Weltgemeinschaft der Reformierten Kirchen (bis 2010: Reformierter Weltbund), Lutherischer Weltbund und der Ökumenische Rat der Kirchen. Das ist noch halbwegs deutlich. Auch die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) ist dem flüchtigen Ökumenekenner zuweilen noch vertraut.

Doch inzwischen haben sich weitere Kooperationsstrukturen gebildet. Viele christliche Hilfswerke treten unter dem Label „ACT Alliance“ auf, einem weltweit angelegten Bündnis für humanitäre Hilfe. Das Ziel dieses 2010 begründeten internationalen Netzwerkes ist es, die weltweite Arbeit der Kirchen besser zu koordinieren und die Hilfe durch gemeinsame Qualitätsstandards noch effektiver zu gestalten. Die Potenziale der Kirchen und der verbundenen Organisationen sollen noch stärker ausgeschöpft werden, um besser auf Notfälle reagieren zu können, wie beispielsweise Naturkatastrophen und Hungersnöte. Außerdem wird durch das neue Bündnis die Zusammenarbeit in der Entwicklungshilfe ausgebaut. Zur "ACT Alliance" gehören auch die deutschen evangelischen Hilfswerke "Brot für die Welt" und Diakonie Katastrophenhilfe. Die agieren als gut eingeführte Marken natürlich weiter, als zusätzliches Label aber ist seit dem vergangenen Jahr „Member of Act Alliance“ eingeführt.

Aber wie macht man das und wie funktioniert es? Wer mit wem und warum? So etwas wollen Deutsche immer wissen. Ein bisschen sola structura. Viele Gespräche, Konferenzen, Papiere, Dekaden, Aktionen. Draußen in Genf ist Frühling, sehnsüchtige Blicke ins sonnige Grün. Aber das Programm ist eng gestrickt, wenigstens ist der große, hohe Sitzungssaal des Ökumenischen Zentrums gut klimatisiert. An der Frontwand des holzgetäfelten Raumes mit freundlichem hellen Teppich prangt ein großer Christus Pantokrator und unter ihm in griechischen Lettern: „hina pantes en ousin“. Die berühmten Worte stammen aus Johannes 17,21: „damit sie alle eins seien“.

Dieses schöne Wort hat Eingang gefunden in die Selbstbezeichnung des Ökumenischen Rates der Kirchen, die 1961 festgelegt ist und bis heute gilt. Sie lautet: „Der Ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die den Herrn Jesus Christus gemäß der Heiligen Schrift als Gott und Heiland bekennen und darum gemeinsam zu erfüllen trachten, wozu sie berufen sind, zur Ehre Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Er ist eine Gemeinschaft von Kirchen auf dem Weg zur sichtbaren Einheit in dem einen Glauben und der einen eucharistischen Gemeinschaft, die ihren Ausdruck im Gottesdienst und im gemeinsamen Leben in Christus findet. Er will auf diese Einheit zugehen, ,damit die Welt glaube‘, wie es im Gebet Jesu für seine Jünger und Jüngerinnen heißt.“

Morgenandacht in der Kapelle des Ökumenischen Zentrums. Da scheint am schönsten auf, dass es hier in Genf um mehr geht als um Strukturen, Absprachen und Mitteleinsatz. Es geht um die besondere Einheit der Christen in der Welt. Die schöne Kapelle hat eine Betondecke, die aber wellig gestaltet ist. Sie soll an ein Zelt erinnern, und das Zelt an das wandernde Gottesvolk. Die Außenwände bestehen aus vielen freundlichen Fenstern nach draußen, Frühlingssonne fällt ein.

Martin Schindehütte, Auslandsbischof der EKD, legt die Geschichte von den Emmausjüngern aus und deutet sie auf das wunderbare und doch unvollendete Miteinander der Kirchen in der Welt: „Der scheinbar Fremde legt Ihnen die Schrift aus, aber die Auslegung der Schrift“, so der Bischof in seiner Predigt, „führt nicht zur letzten und entscheidenden Glaubenserkenntnis. Aber sie führt zu einem verbindlichen Miteinander. Geduldig beieinander zu bleiben, in der Weggemeinschaft der Suchenden zueinander zu finden, das ereignet sich schon. Es ist eine Nähe zu dem Fremden entstanden, die sie nicht verlieren wollen. Der Fremde drängt sich nicht auf. Er lässt Freiheit zur Trennung oder zur Einladung. zu einem weitergehenden verbindlichen Miteinander.“

Am Ende des Besuches dann ein beeindruckendes Bild: Fünf Generalsekretäre diskutieren mit der deutschen Delegation. Neben Olav Fykse (ÖRK) auch Martin Junge (LWB), Setri Nyomi (WCRC), John Nduna (ACT Alliance) und Viorel Ionita (KEK). Das einträchtige Beieinandersitzen des Quintetts illustriert das Einheitswort aus Johannes 17,21 in ihrem Rücken auf eine schöne Weise. Wobei natürlich auch unterschiedliche Schwerpunkte deutlich werden: während Setri Nyomi (WCRC) den Kampf gegen Ungerechtigkeit zur einigenden Hauptaufgabe erklärt, merkt Viorel Ionita (KEK) an, das große europäische Problem sei der Traditionsabbruch und das Schrumpfen der „alten Kirchen“ und eine Stärkung des christlichen Zeugnis im säkularisierten Europa. Martin Junge (LWB) war es wichtig in Hinblick auf das Reformationsjubiläum, es solle bloß nicht rückwärtsgewandt und „zu historisch“ gestaltet werden. In erster Linie sollten sich die Kirchen nicht als „churches of reformation“, sondern als „churches in reformation“ verstehe.

Der Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider betont in Sachen 2017, dass ihm eine Beteiligung vieler Kirchen an diesem bedeutsamen Jahr wichtig sei. Das Jubiläum dürfe nicht konfessionell verengt gedacht werde, sondern es müsse das Ganze der reformatorischen Bewegung zum Ausdruck kommen. Das Jubiläum sei wichtig, weil „wir alle von Wittenberg herkommen“.

Weiter unterstrich Schneider, dass in diesen Tagen natürlich viel über interne Organisation geredet worden sei - das sei auch wichtig, aber darüber dürfe auf keinen Fall das wirklich Entscheidende in den Hintergrund treten, nämlich was die Kirchen für die Welt tun können und tun sollen - rrotz aller Notwendigkeit, sich selbst zu reformieren und zu optimieren!

 „Strahlen brechen viele aus einem Licht / unser Licht ist Christus / und wir sind eins durch ihn“. Dieses schöne Lied war in der Morgenandacht gesungen worden. Wie wahr: Alle diese Strahlen sind schön. Die endgültige Bündelung kann, soll und muss warten. Wahrscheinlich bis der kommt, der gesagt hat, „dass alle eins sein“.