„Man kann im Grunde nur hoffen und beten“

Pfarrerin Elisabeth Hübler-Umemoto berichtet aus der deutschsprachigen Gemeinde in Tokyo

14. März 2011

Blick auf den Fujisan

Seit 2003 leitet die westfälische Pfarrerin Elisabeth Hübler-Umemoto die deutschsprachige Auslandsgemeinde der EKD in Tokyo. Aus Japan berichtete sie am vergangenen Sonntag über das, was nach dem schweren Erdbeben und dem Tsunami kam:

„Liebe Freundinnen und Freunde, ab Morgen wird stundenweise der Strom abgeschaltet, deshalb melde ich mich jetzt noch einmal. Inzwischen sind die meisten deutschen Familien weggefahren. Die Firmen möchten ihre Mitarbeiter auch möglichst in Sicherheit wissen. 

Wir hören weiterhin die aktuellen Nachrichten von den Kernkraftwerken, warten und hoffen, dass wir nicht evakuiert werden müssen. Die Menschen sind weiterhin gelassen. Man kann im Grunde nur hoffen und beten, dass die Experten ihre Arbeit erfolgreich tun.
Inzwischen sehen wir Bilder von Menschen, die glücklich sind, am Leben zu sein, bzw. sich wieder zu sehen, von Menschen, die gerettet werden. 

Auch von Menschen, die verzweifelt ihre Angehörigen suchen, in den Notunterkünften nachfragen und sich dann gegenseitig Mut geben: Gambatte kudasai! Halten Sie sich so gut Sie können! Und der Angesprochene bedankt sich für diese Ermunterung. 

Ja, man ist hier mit Durchhalten beschäftigt. An vielen Orten sind jetzt große Räummaschinen zu sehen, die Aufräumarbeiten haben begonnen. Traurige erste Pflicht ist dabei das Auffinden der Toten unter all den unglaublichen Trümmern. 

Zum ersten Mal wird mir deutlich, warum die japanische Kultur so oft eine Atmosphäre der Traurigkeit enthält. Japanische Bücher, zumal ins Deutsche übersetzt, haben oft eine etwas hölzerne, fatalistische, nüchterne, Einsamkeit ausstrahlende Grundstimmung. Das ist nicht die Überalterung der Gesellschaft, die manches hier wie mit grauer Patina überzogen erscheinen lässt, vielleicht auch die. Das ist nicht nur die Unübersetzbarkeit der japanischen Sprache, in der einzelne Buchstaben der grammatischen Form tiefes Gefühl ausdrücken. Aber eine Nation, die solche Katastrophen erlebt und damit weiterlebt, trägt etwas davon in der Seele.  

Inzwischen gibt uns ein Sender Tipps, wie wir bei Stromsperre unsere Lebensmittel retten und andere Hilfen. 

Man ist einfach pragmatisch. Eine Freundin sagte mir eben am Telefon, dass sie die Bilder aus Japan in Tränen aufgelöst verfolgt und es kaum erträgt.

Wir hier sind mehr mit der Anspannung beschäftigt, mitzubekommen, was jetzt zu tun ist, Entscheidungen zu treffen, Gottesdienst vorzubereiten, Telefonate zu führen, alle zu informieren. Das Entsetzen ist so groß und so nah, dass ich es nicht fühlen kann. Es passt in eine Seele nicht hinein. 

Vor zwei Tagen hatte ich ein Gespräch mit einem Gemeindeglied, das ganz aufgelöst davon erzählte, wie gespenstisch es sich anfühlt, weiter zu funktionieren, zu arbeiten wie immer während gleichzeitig Menschen sterben, Welten zusammen brechen, nichts mehr so ist wie vorher.  

Was ist wichtig in solchen Erfahrungen? Ist unser sonst so wichtiges Leben und Geldverdienen und Beherrschen und Gestalten nicht einfach nur äußerlich? Ganz nichtig, ganz eitel? 

Der Prediger Salomo fällt mir ein: alles ist eitel und ein Haschen nach Wind.

Die Parameter verschieben sich. Das eigentlich Wichtige sind die anderen Menschen, sind die Beziehungen, der direkte Kontakt, das miteinander Teilen von Gedanken, Gefühlen, das Sich gegenseitig erzählen, wie es mir ergeht. 

Und dennoch machen wir weiter, tun, was uns aufgetragen ist und beten um die Gegenwart Gottes, die uns Kraft und Gelassenheit gibt. Begeben uns in die Obhut des Unverfügbaren. In einer Hörpredigt hörte ich dazu den Kommentar: Mehr haben wir nicht: Beten und tun, was uns aufgetragen ist.  

Mehr nicht, aber das ist nicht wenig.“

Elisabeth Hübler-Umemoto, Pfarrerin der Evangelischen Kirche von Westfalen, ist seit Augsut 2003 von der Evangelischen Kirche in Deutschland als Auslandspfarrerin nach Tokio entsandt. Sie ist mit einem japanischen Theologen verheiratet. Das Ehepaar hat einen Sohn, der die japanische Schule besucht. Die Pfarrerin betreut die 1885 gegründete Gemeinde, deren  Kirchengebäude im Stadtteil Gotanda liegt.