Tante Emma ist wieder da

Dorfladen-Initiativen von Bürgern bringen Leben in abgelegene Ortschaften

04. Dezember 2010

Dorfladen-Initiativen sichern vielerorts die Nahversorgung auf dem Land

Auf dem Land schließen immer mehr kleine Lebensmittelhändler. Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (Berlin) spricht von einem Schwund von etwa 40 Prozent in den vergangenen zehn Jahren. "Wenn der letzte Laden vor Ort schließt, ist das schlimm für die Bürger", sagt Günter Lühning, Sprecher des Dorfladen-Netzwerks Niedersachsen. Vor neun Jahren hat er deshalb für das 520-Einwohner-Dorf Otersen an der Aller den 140 Quadratmeter großen Dorfladen "von Bürgern für Bürger" mitgegründet. Der Slogan des Geschäfts: "Wer weiter denkt, kauft näher ein."

Das Konzept geht auf: Rund 300.000 Euro Umsatz macht die Dorfladen-Bürgergesellschaft in Otersen jährlich. Täglich kommen durchschnittlich 100 Kunden. "Samstags ist Rushhour", sagt Lühning. Kein Wunder: Der nächste Discounter ist 15 Kilometer entfernt. Der Dorfladen, sagt Lühning, "ist mehr als nur Lebensmittelgeschäft". Alleinlebende Menschen fänden eine Anlaufstelle, Kinder lernten durch den Laden am Eck den Umgang mit Taschengeld, das Geschäft sichere die Lebensqualität im Dorf und diene dem sozialen Miteinander.

Das Besondere an den Dorfladen-Initiativen ist die emotionale und finanzielle Bindung der Bürger an ihren Laden. Für das Projekt in Otersen mit einem Startkapital von 60.000 Euro mussten die Gesellschafter mindestens 250 Euro in den gemeinsamen Topf werfen, mittlerweile gibt es 110 Anteilseigner. Jede Dorfladen-Aktie entspricht einer Stimme bei Entscheidungen über die Zukunft des Projekts.

In Otersen ist mittlerweile ein Neubau des Ladens mit Dorf- und Radlercafé im Entstehen. Dort könnten soziale Angebote wie Seniorentreffs oder Mutter-Kind-Gruppen einen Platz finden, sagt Lühning. Auch in den Westallgäuer Dörfern Haslach und Primisweiler ist das Prinzip Dorfladen erfolgreich. Die Schomburger Dorfläden eG betreibt an beiden Standorten je einen Laden und macht insgesamt 600.000 Euro Jahresumsatz.

"2007 hatten innerhalb eines Jahres die einzigen Läden in beiden Orten zugemacht", erinnert sich Geschäftsführer Albert Beaumart. Für die erste "Notversorgung" sorgte ein Bäckerei-Verkaufsstand, 2008 seien dann die beiden "Bürgerläden" eröffnet worden. Durch die Dorfläden werden Arbeitsplätze gesichert, regionale Hersteller unterstützt und Versorgungslücken geschlossen. Auch der integrative Gedanke wird dort gelebt: Jeweils zwei Vormittage pro Woche arbeiten zwei Menschen mit Behinderung im "Unser Laden" in Haslach mit. "Auch das Engagement von Ehrenamtlichen sorgt in vielen Dorfläden für Wirtschaftlichkeit", sagt Beaumart. Im Dorfladen im bayerischen Krugzell arbeitet selbst der Geschäftsführer, der 67-jährige Reinhold Hipfl, mit etwa 40 Stunden pro Woche ehrenamtlich.

"Die Bürger fühlen sich ihren Dorfläden eng verbunden", weiß Beaumart. "Nach dem Motto: Das ist mein Laden, da steckt mein Geld drin." Für ihn ist klar: "Wir wollen uns kein großartiges Geldpolster anlegen, Hauptsache, die laufenden Kosten sind durch den Verkauf gedeckt." Michael Friedrich, Geschäftsführer der "Dorfladen Allgäu GmbH" in Niederrieden, warnt jedoch vor falscher Sozialromantik. "Wichtig sind konkurrenzfähige Preise und attraktive Angebote, sonst bleiben die Kunden weg."

Für die Kundenbindung müssten sich auch die Bürgerläden anstrengen: Von der Sonderbestellung der Joghurt-Lieblingssorte, regionalen Produkten wie "Bauernhof Eis" bis hin zum Geschenkkorb für Vereine und Jubiläen bieten die modernen "Tante Emmas" besonderen Service. Lottoannahmestellen, Grillfeste oder Lieferservice für ältere Menschen steigern die Attraktivität.

Die Anlaufphase für einen "Bürgerladen" sei kürzer als für ein Privatunternehmen, sagt der bayerische Unternehmensberater Wolfgang Gröll, seit 15 Jahren Spezialist für Dorfläden. "Es fallen keine Zinsen an, da diese Geschäfte zu hundert Prozent über Eigenkapital funktionieren." Etwa 90 Prozent der seit 1995 gegründeten Dorfläden, die von ihm betreut wurden, existierten noch. Ein Drittel dieser Läden habe bereits im ersten Jahr schwarze Zahlen geschrieben, der Rest spätestens in zwei bis drei Jahren.

"Ohne des wär s schlimm!", sagt Irmgard Freisinger (76), Stammkundin im Dorfladen Krugzell über ihr Geschäft. Für die meisten Kunden sei der Dorfladen ein wichtiger Treffpunkt, betont auch Elisabeth Gutmann, Regionalmanagerin für den Landkreis Weilheim-Schongau. "Früher konnten wir nur noch zum Friedhof", hört sie oft bei Laden-Neueröffnungen, "jetzt haben wir wieder einen Laden".