Starke Gesten der Trauer

Der Bonner Felix Grützner tanzt auf Beerdigungen

19. November 2010

Der Bonner Felix Grützner tanzt auf Beerdigungen

Barfuß und in schlichter, schwarzer Kleidung schreitet Felix Grützner zur Musik von Bachs "Capriccio B-Dur" durch den Mittelgang der kleinen romanischen Kölner Kirche St. Maria in Lyskirchen auf den aufgebahrten Sarg zu. Der Tänzer bleibt in angemessener Entfernung stehen, streckt die Hände aus, schließt sie zu Fäusten und drückt sie an sich. Er schaut suchend nach oben und unten, geht in die Hocke und streicht sanft über den Boden. Dort findet die Tote ihre letzte Ruhestätte, aber ist es nur das, was von ihr bleibt?

Berührt schaut die Trauergemeinde dem Bonner Tänzer zu. Das Leben, das er im Tanz zu würdigen versucht, dauerte 101 Jahre. Ein langes und erfülltes Leben mit sechs Kindern, die jetzt in der Kirche sitzen und Abschied nehmen. "Der Tanz ist für uns ein Ausdrucksmittel, das Sprache und Musik sehr gut ergänzt", sagt Matthias Schnegg später. Er ist ein Sohn der Verstorbenen und Priester in St. Maria in Lyskirchen. Es war seine Idee, den Tänzer auftreten zu lassen. Nicht als Event, wie er betont, sondern "weil der Tanz in uns Emotionen und Bilder weckt, die uns trösten".

Schon seit fast zehn Jahren tanzt Felix Grützner regelmäßig zu Allerseelen und Pfingsten in der Kölner Kirche. Im vergangenen Jahr hat er damit begonnen, seine besonderen Choreographien auch auf Beerdigungen zu zeigen. "Für manche Trauergäste ist es erst mal gewöhnungsbedürftig, wenn ich auftrete", beobachtet er. "Aber ich habe bisher noch keine negativen Rückmeldungen bekommen." Im Gegenteil. "Die meisten Trauergäste sehen interessiert und bewegt zu." Denn Tanz, davon ist Grützner überzeugt, hole alle Menschen dort ab, wo sie gerade stehen. "Die Bewegungen sind allgemein verständlich, jeder kann sich darin wiederfinden."

So gehöre die Verzweiflung, das Suchen und Fragen, das der Tod mit sich bringe, stets zu seinem Tanz, erklärt der 46-jährige Balletttänzer. Aber auch die Hoffnung, die Grützner in der Schlussgeste aufgreift. Mit weit ausgebreiteten Armen, die nach oben zeigen, schlägt er einen Bogen vom Tod zum Leben. Auf seinem Gesicht spiegelt sich die Erwartung eines Lebens jenseits von Tod, Trauer und Tränen. Abschied nehmen heißt für ihn auch, dem Leben einen Sinn zu geben und es als ein kostbares Geschenk zu würdigen.

"Mit meinem Tanz möchte ich den Trauernden Mut machen, auch ihr eigenes Leben trotz des Verlustes eines geliebten Menschen zu schätzen und neu zu begreifen", erklärt er. Bewegungen könnten dabei oft mehr bewirken als viele Worte. "Tanz ist in der Lage, die Menschen so zu berühren wie ein guter Trauerredner." Grützner, der eine Ausbildung im Klassischen Ballett und Modernen Tanz absolviert hat und das Tanzen nach Jahren der Verlagsarbeit zu seinem Hauptberuf gemacht hat, glaubt an die heilende Kraft der Bewegung.

Wie tröstend und hilfreich sie in Krisenzeiten sein kann, hat der promovierte Kunsthistoriker nicht nur selbst erfahren. Er erlebt es auch in Seminaren und Workshops, die er als Bewegungstherapeut für Trauernde anbietet. "Diese Menschen sind oft sehr verspannt, gehen gebeugt und atmen flach", beobachtet er. "Schon einfache Körperübungen helfen ihnen, tiefer zu atmen und sich aufzurichten." Wenn der Kreislauf in Schwung komme und der Stoffwechsel angeregt werde, wirke sich das auch auf die Stimmung aus. "Trauernde bekommen einen anderen Blick auf die Welt."

"Es ist mir wichtig, eine Ahnung vom Leben jenseits der Trauer aufleuchten zu lassen", sagt Felix Grützner. "Was ich mache, ist kein Totentanz, sondern ein Lebenstanz!" Das haben auch Matthias Schnegg und seine Geschwister auf der Beerdigung ihrer Mutter so empfunden. "Die treffendste Rückmeldung zum Tanz kam von meiner Schwester", erzählt der Priester. "Sie meinte, Felix Grützner habe so getanzt, als hätte er 101 Jahre lang mit meiner Mutter gelebt." (epd)