„Sensationelle Funde“

Die Potsdamer KGB-Gedenkstätte hat die Geschichte der evangelischen Frauenhilfe erforscht

25. Oktober 2010

Foto: Frauen hissen die Verbandsfahne der Evangelischen Frauenhilfe auf dem Dach des Heimathauses in Potsdam, 1920er Jahre. (Foto: epd-bild / ELAB)

Das Haus hat eine schreckliche Geschichte: Der sowjetische Geheimdienst KGB nutzte die Villa am Potsdamer Pfingstberg nach 1945 als Gefängnis. Neben einigen NS-Tätern wurden in den ersten Jahren auch zahlreiche Unschuldige und willkürlich Festgenommene inhaftiert - und zur Zwangsarbeit nach Sibirien deportiert. Doch das Haus hat auch eine Vorgeschichte. Bis August 1945 hatte die evangelische Frauenhilfe in Preußen dort ihren Sitz, ein Verband mit mehreren hunderttausend Mitgliedern.

Seit 2009 ist das ehemalige KGB-Gefängnis eine Gedenkstätte. 2011 soll die Dauerausstellung eröffnet werden, derzeit wird intensiv daran gearbeitet. Die märkische Kulturland-Kampagne über Frauen in Brandenburg-Preußen hat es ermöglicht, mit zusätzlichen Fördermitteln ein weiteres Projekt auf die Beine zu stellen. Erforscht wurde die bislang nahezu unbekannte Geschichte der evangelischen Frauenhilfe in Preußen. Ende Oktober werden die Ergebnisse als Online-Ausstellung im Internet vorgestellt.

"Das ist weitgehend Grundlagenforschung auf einem Feld der Frauengeschichte, das bisher völlig unterbelichtet war", beschreibt Gedenkstättenleiterin Ines Reich die Recherchen. "Tabula rasa, es gab fast nichts", bestätigt auch Ausstellungskuratorin Maria Schultz. So hat der konservative konfessionelle Verband unbeabsichtigt zur finanziellen Unabhängigkeit und Emanzipation von Frauen beigetragen, in dem er sie für soziale Aufgaben ausbildete. Auch organisierte die Frauenhilfe bereits soziale Hilfen wie Mutter-Kind-Erholungen.

Die Gedenkstättenleiterin und die Ausstellungskuratorin sind in mehrfacher Hinsicht begeistert von dem Forschungsprojekt. Denn mit ihm sei es gleichzeitig gelungen, neue Erkenntnisse über die frühe Zeit des KGB-Gefängnisses zu gewinnen, erzählt Ines Reich. "Das sind klassische Synergieeffekte."

So wissen die Wissenschaftlerinnen jetzt, dass die Beschlagnahme der Villa im August 1945 länger gedauert hat als bislang angenommen. Sie können die Vorbereitungen für die Nutzung als Gefängnis besser nachvollziehen und wissen genau über den umfangreichen Umbau der Räume durch den KGB Bescheid. Und sie haben herausgefunden, dass das sowjetische Sperrgebiet am Pfingstberg lange gar kein richtiges Sperrgebiet war. Damit tun sich neue Forschungsansätze auf.

16.000 Euro haben der Evangelisch-Kirchliche Hilfsverein (EKH), der die Frauenhilfe 1899 gegründet hat, der Kulturland-Verein und weitere Geldgeber für das Forschungsprojekt zur Verfügung gestellt. Die Historikerinnen haben sich durch unsortierte Akten und Dokumente gearbeitet. Sie haben unerschlossene Archivbestände des EKH und des Landeskirchlichen Archivs in Berlin geordnet und wissenschaftlich ausgewertet - und sind dabei auf unerwartete Funde gestoßen.

"Wir waren überrascht, dass es so viel Fotomaterial zur Frauenhilfe gibt", berichtet Maria Schultz. Im Kirchenarchiv seien auch mehrere historische Filme aus dem Alltag der Frauenhilfe aufgetaucht, von denen zuvor niemand etwas wusste. Das seien "sensationelle Funde".

Die Geschichte des Verbandes, der sich 1933 freiwillig in Reichsfrauenhilfe umbenannt und zugleich um Unabhängigkeit vom NS-Regime bemüht hat, wird in der Ausstellung erstmals umfassend erzählt. Auch Biografien von Frauen und Männern, die die Arbeit geprägt haben, werden dabei vorgestellt - wie die der Fotoreporterin Marie Goslich. Die 1859 in Frankfurt an der Oder geborene Schriftstellerin arbeitete für die Verbandszeitung "Bote für die christliche Frauenwelt" und übte damit in der konservativen Massenorganisation einen zu der Zeit für Frauen durchaus unüblichen Beruf aus.

Das Schicksal einer anderen Frau verbindet die Geschichte der Frauenhilfe mit der des KGB-Gefängnisses. Im Schreiben eines Pfarrers von 1945 haben die Wissenschaftlerinnen den Namen einer deutsch-baltischen Flüchtlingsfrau aus Lettland gefunden, die bei der Beschlagnahme des Verbandssitzes für den sowjetischen Kommandanten übersetzte - und 1947 schließlich selbst im KGB-Gefängnis inhaftiert wurde. Marliese Steinert hat den Gulag überlebt und ist später nach Westdeutschland gegangen.

"Die Hinweise auf die Vorgeschichte ihrer Haft haben wir erst durch den Brief des Pfarrers gefunden", erzählt Ines Reich. Und so konnte die Geschichte des KGB-Gefängnisses durch das Projekt über die Frauenhilfe um eine weitere Facette ergänzt werden.

Die Online-Ausstellung ist ab 28. Oktober über die Internetseite www.gedenkstaette-leistikowstrasse.de zugänglich. Die Wanderausstellung wird am selben Tag um 18 Uhr im Evangelischen Zentrum für Altersmedizin, Weinbergstraße 18/19, 14469 Potsdam, eröffnet. Potsdam ist erster Standort der Wanderausstellung. Sie ist bis zum 31. März 2011 täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. (epd)