Kirche und Freiheitsmuseum nebeneinander

Rudolf Schmid ist in Windhoek Pfarrer der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia (DELK).

06. Oktober 2010

Christuskirche in Windhoek

Wo Fidel Castro und Robert Mugabe aufeinandertreffen, steht die Christuskirche. Castro? Mugabe? Nach den beiden Staatsmännern aus Kuba und Simbabwe sind in Windhoek zwei Straßen benannt - früher hießen sie Peter-Müller-Straße und Leutweinstraße. In der Christuskirche feiern wir am 17. Oktober einen großen Festgottesdienst: Vor 100 Jahren wurde unsere Kirche eingeweiht. Auf Vorschlag der Gemeinde hat die namibische Post eine Gedenkbriefmarke herausgebracht, eine Jubiläumshymne wurde komponiert, Schüler sind bei einem Kunstwettbewerb kreativ gewesen.

Die Deutsche Evangelisch-Lutherische Gemeinde Windhoek wurde am 20. Januar 1896 gegründet. Ich frage mich immer wieder, mit welchen Erwartungen unsere Vorfahren damals nach Deutsch-Südwestafrika kamen. Warum haben sie damals kein kleines Kirchlein gebaut, das der Größe der Gemeinde entsprochen hätte? Stattdessen entstand ein Bauwerk, das sich auch heute noch in seiner Umgebung behaupten kann. Auch wenn es nicht mehr alles überragt. Die Christuskirche ist bis heute ein Wahrzeichen Windhoeks. Sie wird in jedem Reiseführer erwähnt. Menschen aus aller Herren Länder besuchen unsere Kirche. Darauf deuten die Eintragungen und Gebetsanliegen in unserem Gästebuch hin - sehr oft aus dem deutschsprachigen Raum, aber auch chinesische oder kyrillische Schriftzeichen zeigen, dass Menschen aus allen Erdteilen hier Augenblicke der Stille tanken.

Für Touristen ist die Christuskirche ein guter Orientierungspunkt. Sie liegt zentral, leicht erhöht auf einem Hügel. Schnell erreicht man die Independence-Avenue, die Haupteinkaufsstraße, die vor der Unabhängigkeit Namibias 1990 noch Kaiserstraße hieß. In der Nähe der Christuskirche sind einige Sehenswürdigkeiten: zum Beispiel der Tintenpalast, der Sitz unseres Parlaments, den ein herrlicher Garten umgibt. Nur wenige Minuten sind es zu Fuß zur Alten Feste, die ein Museum über die Kolonial­zeit beherbergt.

Neben der Christuskirche stand noch bis August 2009 ein Reiterdenkmal: Es wurde 1912 eingeweiht, um an die Kolonialkriege der Deutschen gegen die Volksgruppen der Herero und Nama zu erinnern. Unter viel Protest wurde es hundert Meter zur Alten Feste hin versetzt. Kritiker waren entsetzt, dass an historischen Denkmälern aus der deutschen Zeit gerüttelt wurde. Dort, wo das Reiterstandbild stand, wird zurzeit das neue Freiheitsmuseum gebaut. Es eröffnet voraussichtlich Ende des Jahres. In dem Betonkoloss werden dann Entwicklungen aufgezeigt, die 1990 in die Unabhängigkeit Namibias führten. Der nordkoreanische Baumeister erzählte mir verschmitzt, sein Bau werde nach seiner Vollendung auf unsere Kirche herabsehen.

Ich denke, das ist auch bewusst so geplant. Neue Zeiten sind angebrochen - das Erbe der Kolonialzeit wird relativiert. Ob neue Straßennamen oder Neubauten: Die Spuren vergangener Zeiten werden verwischt, sollen in Vergessenheit geraten. Den Nachkommen der deutschen Pioniere, denen dieses Land unter viel Fleiß und aufopferungsvoller Arbeit eine neue Heimat geworden ist, fällt es nicht leicht, diese Zurücksetzungen einzustecken. "Unser Einsatz hat dem Land doch nur zum Guten gedient", höre ich immer wieder. Und ganz unrecht haben sie da nicht. Aber es gilt jetzt, sich unter veränderten Bedingungen neu einzubringen und für eine gemeinsame Zukunft aller Bevölkerungsgruppen zu ­arbeiten.

Ich bin nun seit drei Jahren Pastor der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde in Windhoek. Ich glaube, dass es Gottes Führung war, dass er mich in das Land brachte, wohin vor 100 Jahren mein Großvater als Tierarzt reiste. Es fing 1910 als jugendliches Abenteuer an. Damals war Deutsch-Südwestafrika eine aufblühende deutsche Kolonie. Mit der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg drohte meinem Großvater 1918 die Ausweisung. Doch die deutschstämmigen Rinderzüchter baten die Behörde, nicht ihre tierärztliche Versorgung zusammenbrechen zu lassen. Drei Tierärzte durften ihre Koffer wieder auspacken. Darunter Gerhard Schmid, mein Großvater.

Mein Vater wuchs in Namibia auf. Zum Medizinstudium ging er nach Südafrika. 1955 kehrte er nach Namibia zurück, um eine Arztpraxis in Omaruru zu führen. Ich war damals ein Jahr alt. Die Jahre meiner frühesten Kindheit haben mich wohl mehr geprägt, als mir bewusst war. Bei meinen Großeltern in Okahandja begegnete ich ihrem Hausfreund, dem hoch geschätzten Missionar Heinrich Vedder. Wir Kinder gingen gerne zu Opa Vedder, der gemächlich an seiner Pfeife sog und in der Jackentasche stets ­Süßigkeiten bereithatte. Später zogen wir wieder nach Südafrika. Ich wurde - wie mein Großvater - Tierarzt. Doch dann entschied ich mich, nochmals zu studieren: Theologie. Ich betreute zunächst zwei Pfarrstellen in Südafrika. Dann erfuhr ich von der Vakanz in Windhoek. Erinnerungen wurden wach. Ich bewarb mich und stand bald vor der Christuskirche. In der Sakristei der Kirche schaute Heinrich Vedder gütig aus dem Bilderrahmen. Nach 50 Jahren war ich in eine Heimat zurückgekehrt, die mir teils fremd, teils doch vertraut war.

In Namibia ist Windhoek die bei weitem größte deutsch­sprachige Gemeinde. Zwei Pfarrer betreuen die etwa 2300 ­Gemeindemitglieder. Hier hat auch der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia, Erich Hertel, seinen Sitz und zusätzlich noch eine halbe Pfarrstelle inne. Zusätzlich kümmern sich ein Jugenddiakon um die Kinder- und Jugendarbeit und eine Gemeindehelferin um Senioren und Kranke.

Aus dem ganzen Land kommen Menschen nach Windhoek in die Schulen, Krankenhäuser und Altersheime. Zu unserer Gemeinde gehören noch sechs Farmbereiche, wo ebenfalls Gottesdienste gefeiert werden. Als Pfarrer fahre ich schon mal 100 Kilometer bis zu einer Farm. Dort treffen sich samstagnachmittags die Farmer der Umgebung zum Gottesdienst. Bei Kaffee und Kuchen plaudern wir zunächst über das Wetter, die aktuellen Fleischpreise und das eigene Wohlbefinden. Dann kommt man im Wohnzimmer, auf der Veranda oder unter Bäumen zusammen, um zu singen, beten und die Predigt zu hören. Auch Taufen und Beerdigungen feiern wir auf Farmen.

Wir pflegen die Kontakte zu der kleinen Gruppe deutsch­sprachiger Katholiken, feiern zum Beispiel gemeinsam die Regenbitt- und Regendankgottesdienste. Auch unsere anderssprachigen und meist schwarzen Nachbargemeinden laden wir immer wieder ein und versuchen, die Begegnungen noch intensiver zu gestalten. Mit diesen Treffen tun sich allerdings beide Seiten noch etwas schwer. Auf kirchenleitender Ebene arbeiten die drei lutherischen Kirchen Namibias hingegen eng zusammen. Die ­Bischöfe teilen sich in einigen Bereichen die Arbeit und wechseln sich bei Repräsentationen ab. Sehr eng eingebunden ist unsere Kirche auf ökumenischer Ebene in den Namibischen Kirchenrat, in dem fast alle Denominationen (Konfessionen) vertreten sind. Bischof Hertel stand dem Kirchenrat im vergangenen Jahr zudem als Präsident vor.

"O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort." Diese Stelle aus Jeremia 22,29 ist in dem Marmorbogen über dem Portal der Christuskirche eingemeißelt. Die meisten Besucher werden diese Inschrift wohl kaum wahrnehmen. Mir ist es wichtig, den Blick der Menschen darauf zu richten, ihre Ohren dafür zu öffnen. Mir liegt daran, dass viele Menschen zur Christuskirche kommen - es kann für sie einer der Orte sein, an denen sie die Frohe Botschaft Jesu Christi erreicht. Auch dazu soll das Jubiläum in diesem Jahr ein Anlass sein.