Glaube und Kirche als Quelle des Ehrenamts

6. Woche des bürgerschaftlichen Engagements mit mehr als 1500 Aktionen bundesweit

21. September 2010

Foto von der Eröffnung der 6. Woche bürgerschaftlichen Engagements (www.engagement-macht-stark.de)

Ein aktiver Sozialstaat braucht eine engagierte Zivilgesellschaft. Ehrenamtliche, Nachbarn, Familienmitglieder und Betroffene sind „Detektoren“ für offene gesellschaftliche Fragen. Als Berufstätige fragen sie nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Als Eltern oder pflegende Angehörige helfen sie mit; Schulen zu öffnen und Dienstleistungen weiter zu entwickeln. Als Engagierte bei der „Tafel“ sorgen sie für den Zusammenhalt im Quartier. Dabei verlaufen Themen- und zielorientierte Bürgerzusammenschlüsse heute quer zu den alten, konfessionell oder weltanschaulich geprägten Verbändestrukturen. Auch Diakonie und Caritas und die Kirchen selbst sind durch diese Bewegung herausgefordert.

Trotz rückläufiger Kirchenmitgliedschaft bleiben aber religiöse Motivation und kirchliche Bindung ein entscheidender Faktor für zivilgesellschaftliches Engagement. Das zeigen die Ergebnisse des Freiwilligensurveys in Deutschland genauso wie eine Studie aus den weitgehend säkularisierten Niederlanden. Während dort nur noch 29 Prozent der Befragten meinen, wenn Menschen nicht mehr an Gott glauben, sei die Moral gefährdet, sagen immerhin 41 Prozent, ohne Kirchen würden sich weniger Menschen freiwillig für andere einsetzen und 40 Prozent meinen, schwache Gruppen in der Gesellschaft blieben dann ihrem Schicksal überlassen. „Die Kirche nimmt eine doppelte Aufgabe für die Zivilgesellschaft wahr“, heißt es auch in der Kundgebung der EKD-Synode 2009. „Sie ist Motivationsquelle des Ehrenamts, die in die Gesellschaft ausstrahlt; und sie ist Ort konkreten ehrenamtlichen Engagements. Christen und Christinnen tragen aus ihrem Glauben heraus ehrenamtliches Engagement in die Gesellschaft. Sie öffnen so die Kirche für die Welt und bewahren sie damit vor Selbstgenügsam¬keit und Milieuverengung. Um ihres Auftrags willen sucht die Kirche die Zu-sammenarbeit mit Bündnispartnern im Gemeinwesen.“

Nicht zuletzt der Rückgang öffentlicher und kirchlicher Mittel  hat dazu geführt, dass Gemeinden ihre Räume für andere Initiativen öffnen und damit zu neuen Stadt-teilzentren werden. Zusammen mit diakonischen Diensten, die in die Stadtteile zurückkehren, entstehen neue Netze - zwischen sozialen Diensten, freiwilligen Initiativen und Kirchengemeinden. „Eine menschennahe Kirche in der lokalen Gesellschaft wird zukünftig vielfältiger und vielgestaltiger sein. Sie braucht das Engagement vieler Menschen unterschiedlichen Hintergrunds“, stellten die Teilnehmer einer Ökumenischen Ehrenamtstagung von EKD, ZdK, Caritas, Diakonie und Verbänden im Januar 2009 in Köln fest. „In allen Dimensionen kirchlichen Handelns wollen sich Menschen engagieren. Dafür erwarten sie angemessene und ermutigende Rahmenbedingungen“. Die Kölner Tagung mit fast 400 Teilnehmenden, die gemeinsam mit dem Bündnis für Bürgerschaftliches Engagement durchgeführt wurde, stand unter dem Titel: „Um Gottes Willen – wir engagieren uns.“

Angesichts anderer Freizeit- und Gestaltungsmöglichkeiten achten Engagierte heute genau darauf, ob ihre Kompetenzen und Erfahrungen berücksichtigt werden. Anders als im beruflichen Kontext, wo Macht und Hierarchie immer eine Rolle spielen, anders als auf dem Markt, wo alle Leistung einen finanziellen Gegenwert hat und jeder Einsatz unter Tauschgesichtspunkten geschieht, geht es in sozialen Initiativen darum, sich persönlich einzubringen und sich mit dem eigenen Tun zu identifizieren. Gerade jüngere Ehrenamtliche verstehen sich nicht mehr als Zuarbeiter von wohlfahrtsstaatlichen Organisationen oder als ehrenamtliche „Helfer“ von beruflich Tätigen. Besonders engagierte Frauen klagen, wie eine Caritas-Untersuchung zeigt, über die erlebte Hierarchie zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen. Staatliche oder auch kirchliche Versuche, Engagement zu stark einzuhegen oder zu kanalisieren, um es angesichts knapper Ressourcen effektiver zu gestalten, stoßen deshalb an Grenzen.

Hier lohnt ein Blick auf die diakonischen Reformbewegungen des 19. Jahrhunderts. Der Hamburger Johann Hinrich Wichern zum Beispiel setzte auf die freien Assoziationen der Bürger, die Netzwerke der geschwisterlichen Liebe, wie er sie nannte, auf Ehrenamtliche, die mit ihrer eigenen Kompetenz und ihrer christlichen Überzeugung Kirche und veränderten. Im kommenden Jahr, dem Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit 2011 werden die Kirchen deshalb mit einer zweiten gemeinsamen Tagung auf die Kompetenzen schauen, die Ehrenamtliche mitbringen und im Ehrenamt erwerben können. Die Tagung mit europäischen Ausblicken findet am 23. und 24. September 2011 in Saarbrücken statt  und knüpft an die Kölner Tagung an.