Ohne das Singen bin ich nur ein halber Mensch

Insel- und Gästekantorei auf Langeoog lädt Urlauber zum Musizieren ein

08. August 2010

Foto der Langeooger Insel- und Gästekantorei am Strand. (Foto: epd-bild / Jörg Nielsen)

Ein Mann in Shorts und Flip-Flops guckt zur Tür rein: "Moin, ich bin Tenor. Bin ich hier richtig zum Singen?" Ja, ist er. Jeden Freitag um 20 Uhr probt hier im Gemeindehaus "Beiboot" die Insel- und Gästekantorei der evangelischen Kirche auf der ostfriesischen Insel Langeoog. Für Kantor Jan Rohloff ist jede Probe wieder spannend: "Man weiß nie, wer und wie viele Leute kommen werden", sagt der 28-jährige Kirchenmusiker. "Mal sind es vier alte Damen - mal ein richtig guter Chor."

Elf Sängerinnen und zehn Sänger haben sich dieses Mal nach Stimmen sortiert eingefunden. Die Frauen sind begeistert: "Männerstimmen im Chor sind doch sonst stets Mangelware", sagt eine Altistin vergnügt. Schon beim Einsingen merkt Kantor Rohloff: Die Mischung stimmt. Als dann der Choral "Verleih uns Frieden" mehrstimmig fast perfekt klappt, ist seine Ansage nur folgerichtig: "Sonntag 8 Uhr 45 bitte zum Einsingen in die Kirche kommen. Wir treten im Gottesdienst auf."

Der Chor ist bunt gemischt mit Sängerinnen und Sängern aus ganz Deutschland. "Urlaub auf einer Insel und dann noch mit einem netten Chor schön singen - das sind doch paradiesische Zustände", sagt Erhard Wolf (68) aus Löbau mit unverhohlen sächsischem Akzent. Eigentlich kenne er bislang nur die Insel Hiddensee vor Rügen in der Ostsee. "Da ist es auch ganz wunderbar." Doch der Charme der Nordseeinsel sei nicht zu verachten. Auch wenn das mit den Gezeiten eher gewöhnungsbedürftig sei.

Barbara Spielfort (71) aus Hannover zieht es seit Jahrzehnten zum Urlaub auf Langeoog mit seinem 14 Kilometer langen Strand. Ihr haben es der weite Blick aufs Meer und die große Ruhe angetan. Autolärm und Abgase sind auf der autofreien Insel schlicht nicht vorhanden. Hier ist man zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Pferd unterwegs. Für die rüstige Rentnerin gehört das Singen in der Gästekantorei unbedingt zum Urlaub dazu: "Ohne das Singen bin ich nur ein halber Mensch." Seit acht Jahren probt sie im Urlaub in der Kantorei mit.

Zum Urgestein der Insel- und Gästekantorei gehört Dietlinde Voss. Singen ist für sie ein Lebenselixier: "Meine Seele braucht das einfach." Vor 51 Jahren kam sie auf die Insel, um dort ein Jahr lang zu arbeiten. Doch dann lernte sie ihren Mann kennen, einen echten Insulaner. "Ich selbst bin ja bloß Langeoogerin und keine Insulanerin", sagt sie und lacht. Da sind die Insulaner streng. Nur wer auf der Insel geboren wurde, darf sich Insulaner nennen.

Für Uwe Folgner aus Berlin ist der Urlaub auf der Insel schon fast eine Therapie: "Arbeit weg, Familie kaputt, Ärger mit den Kindern." Doch bei seinen langen Strandwanderungen kommt der 50-Jährige endlich wieder auf andere Gedanken. "Die Freude am Singen ist mir geblieben. Zusammen mit anderen Menschen beim Singen, das ist für mich im Moment echt ein Stück vom Paradies."

Das Kantoren-Ehepaar Noémi und Jan Rohloff lebt erst seit einem Jahr auf Langeoog. Noémi stammt aus Budapest und hat ihren Mann, einen Hamburger, während des Studiums in Herford kennengelernt. "Als Jan sagte, wir bewerben uns auf die Stelle auf Langeoog, ist mir erstmal die Luft weggeblieben. Ich komme aus der großen Hauptstadt Budapest, und Herford war mir schon zu klein." Doch heute möchte sie nicht mehr weg von der Insel. "Nur das Bummeln und shoppen in der Stadt fehlt mir dann und wann."

Den letzten Ausschlag für Langeoog habe ihr alter Orgellehrer in Budapest gegeben, erzählt die 34-Jährige nach einem kleinen Abendgesang in den Dünen. Der sei Deutscher und habe ihr gesagt: "Ihr bewerbt euch jetzt für Langeoog, da werdet ihr viel Freude haben. Die Deutschen sind nämlich ein komisches Volk. Die singen sogar im Urlaub gern." (epd)