Wenn die Glühbirne erlischt

Projekt "Franziskuskinder" hilft Kindern suchtkranker Eltern aus ihrer Ausweglosigkeit

06. August 2010

Symbolfoto eines Abhängigen (Foto: epd-Bild)

Kinder suchtkranker Eltern erleben oft die Hölle auf Erden. Die 13-jährige Sabine musste zusehen, wie ihr Vater sich eine Nadel setzte. Der 14-jährige Max erlebte, dass seine alleinerziehende Mutter aufgrund ihres Alkoholkonsums den Haushalt nicht mehr führen konnte. Beide erlebten ihr Zuhause nicht als Ort von Liebe und Geborgenheit, sondern von Überforderung und seelischem Schmerz.

Zwischen zwei und drei Millionen Kinder suchtkranker Eltern leben nach Schätzungen der Deutschen Hauptstelle gegen Suchtgefahren in Deutschland. Für betroffene Jungen und Mädchen wurde vor anderthalb Jahren in Heidelberg das Projekt "Franziskuskinder" gestartet.

"Wir haben bisher rund 100 Anrufe von Kindern im Alter zwischen 7 und 17 Jahren bekommen", sagt Rüdiger Dunst, Leiter der Suchtberatungsstelle der Heidelberger Stadtmission. Die meisten Kontakte bleiben anonym am Telefon, nur wenige Kinder trauen sich bisher, im direkten Gegenüber ins Gespräch zu kommen. Doch die Telefonkontakte bleiben über längere Zeit hinweg bestehen. Die meisten Kinder erzählen von einer schweren Alkoholsucht ihrer Eltern, Drogen- oder Medikamentenabhängigkeit.

Was die Alkoholkrankheit der Eltern oder eines Elternteiles bewirken kann, weiß Helga Binder (Name geändert): Überall in der Wohnung waren Bier- und Weinflaschen versteckt. Wenn sie als Mädchen von der Schule nach Hause kam, gab es kein Mittagessen, die Wäsche war nicht gewaschen, die Zimmer nicht aufgeräumt. Stattdessen lag die alkoholkranke Mutter im Bett, um ihren nächtlichen Rausch auszuschlafen. Erst als junge Frau begriff sie die Suchtkrankheit ihrer Mutter. Hilfe gab es aber damals für beide nicht.

Schon als elfjähriges Mädchen sorgte Helga Binder für den jüngeren Bruder, kochte und machte den Haushalt. Gespielt hat sie selten, Freundinnen gab es nicht. Wenn sie anderen Menschen von den Suchtproblemen zu Hause erzählte, wurden diese nicht ernst genommen. Der Vater sprach von einem "lösbaren Problem", die Mutter machte sich über ihre Tochter lustig. Auch von den Lehrern gab es keine Tipps, wohin sie sich wenden sollte. "Das Schlimmste aber war, dass manche mir unterstellten, ich wolle meiner Mutter nur was Böses anlasten."

Bis heute leidet Binder, die selbst zwei Kinder hat, unter der damaligen Krankheit ihrer Mutter. "Ich habe ein übersteigertes Hilfesyndrom", erzählt sie. Erst als sie sich selbst Hilfe besorgte und eine Selbsthilfegruppe aufsuchte, ging es ihr besser. "Da merkte ich plötzlich, du bist ja gar nicht alleine mit diesem Problem." Ihren eigenen Kindern versucht sie die Gefahren möglichst früh vor Augen zu führen: "Ich versuche es meinen Kindern mit dem Beispiel einer Glühbirne klar zu machen, dass Alkoholsucht gefährlich ist: Von jetzt auf nachher erlischt der Faden, dann ist die Grenze überschritten".

"Ziel des Projektes ist es natürlich, irgendwann die betroffenen Eltern mit ins Boot zu holen", sagt Dunst. Bislang gab es ein Ehepaar, das nach den Anrufen ihres Kindes die Beratungsstelle aufsuchte. "Beide Elternteile haben sich dann entschlossen, gemeinsam eine Reha-Maßnahme zu beantragen", berichtet Dunst.

Finanziert wird das Projekt durch Spenden, eine Anschubfinanzierung in Höhe von 12.000 Euro gab es von der Heidelberger Ghaemian-Stiftung. Jetzt erhalten die "Franziskuskinder" 5.000 Euro von einer Stiftung der bundesweit tätigen ETL-Gruppe, ein Unternehmen von Wirtschafts- und Steuerberatern. (epd)