Aufstehen, frühstücken, arbeiten gehen

Robert-Geisendörfer-Preisträger Volker Heise spricht über sein Projekt „24h Berlin“

01. August 2010

Foto von Volker Heise, Künstlerischer Leiter von '24h Berlin'. (Foto: rbb/Christian Thiel/OSTKREUZ)

Am 5. September 2008 haben 80 Kamerateams das Leben der Stadt Berlin 24 Stunden lang eingefangen. Mit Gefühl für den Rhythmus der Stadt ist renommierten und weniger bekannten Filmemachern ein soziologisch repräsentativer Zugang zu Berlin gelungen. Zugleich ist mit großem künstlerischen, finanziellen und organisatorischen Aufwand im Auftrag von rbb, ARTE und in Kooperation mit dem Medienboard Berlin Brandenburg ein singuläres multimediales Ereignis geschaffen worden.Volker Heise, Regisseur und künstlerischer Leiter von „24h Berlin – ein Tag im Leben“ (rbb/ARTE),  erhält für das Projket den Sonderpreis der Jury des Robert Geisendörfer Preises 2010.

Im Interview mit dem christlichen Monatsmagazin „chrismon“ spricht Volker Heise über „24h Berlin – ein Tag im Leben“. Die Fragen stellte Timin Müller.


Was bedeutet Ihnen der Robert Geisendörfer Preis?

Volker Heise: Ich freue mich sehr darüber. Den Preis verstehe ich als Anerkennung für alle, die bei dem Fernsehprojekt mitgemacht haben. Ich bin ja nur Initiator und Gesicht des Projekts. Die Arbeit war auf viele Schultern verteilt: Am 5. September 2008 waren 80 Teams mit mehr als 300 Mitarbeitern unterwegs. Die vier Cutter bearbeiteten mehr als 800 Stunden Filmmaterial, ehe genau ein Jahr später die  24-stündige Dokumentation unter anderem bei Arte und RBB gezeigt werden konnte.

Ein außergewöhnliches Projekt: Was haben Sie für sich persönlich daraus gelernt?

Heise: Respekt. Normalerweise ist  man zu sehr in seinen eigenen Wertvorstellungen verfangen. Wir haben Einblicke in zahlreiche Biografien bekommen. Dabei verschwinden viele Vorurteile. Aber es wächst auch der Respekt vor der Arbeit der  anderen, vor allem der Regiekollegen, die mit und für uns gedreht haben. Bei diesem Projekt war ich ja oft  weniger Regisseur als Organisator, und ich habe versucht, mich nicht zu wichtig zu nehmen. Mir war klar, dass ich nicht alles durchdringen und beherrschen kann.

Hat sich auch Ihre Wahrnehmung des  Alltäglichen verändert?

Heise: Mir ist bewusst geworden, dass 99 Prozent unseres Alltags automatische Prozesse sind. Aufstehen, frühstücken, arbeiten gehen . . . die tägliche Routine. Der Anteil, den wir letztendlich beeinflussen, ist sehr, sehr gering.

Das hört sich ja schrecklich an...

Heise:. . . ist es aber nicht. Wenn wir stets  bewusst atmen oder alles Tun hinterfragen müssten, würden wir ja verrückt werden. Wir brauchen  Gewohnheiten, um dann entscheiden zu können, wenn’s drauf ankommt.

Hat Ihr neues Projekt auch mit Alltag zu tun?

Heise: Ja, Alltag ist mein Thema! Ich arbeite an einer 45-minütigen Dokumentation über das Essen. Darüber, was wir essen. Wann wir essen. Mich interessiert das Alltägliche und das Unbewusste mehr als  das Außergewöhnliche. Denn letztendlich bestimmen tägliche, unbewusste Gewohnheiten unser Leben.

Was  geschieht inzwischen mit dem Filmmaterial von „24h Berlin“?

Heise: Das ist in der Deutschen Kinemathek in Berlin. Aus dem ganzen Filmmaterial soll ein Onlinearchiv entstehen. Wer später einmal wissen will, wie  man 2008 in Berlin gelebt hat, kann sich ein Bild machen. Gut möglich, dass in zehn Jahren jemand aus  dem Material einen ganz anderen Film schneidet. Es war immer mein Wunsch, das Projekt nach hinten hin   offenzulassen. Mein Entwurf für "24h Berlin" muss nicht die letzte Antwort gewesen sein.