„Gott hat Loveparade-Teilnehmer nicht verlassen“

EKD-Ratsvorsitzender und rheinischer Präses äußert sich zum Unglück in Duisburg

27. Juli 2010

Foto von Trauerenden in Duisburg am Sonntagvormittag. (Foto: epd-bild / Friedrich Stark)

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, hat nach der Loveparade-Katastrophe auf Gottes ungeteilten Beistand für die Menschen hingewiesen. "Bei allem Erschrecken und Fragen bin ich ganz gewiss: Gott hatte die Menschen nicht verlassen, die in der Massenpanik um ihr Leben gefürchtet und gekämpft haben", schreibt Schneider in der am Dienstag in Düsseldorf erschienenen "Rheinischen Post".

Der Theologe unterstreicht, Gott "war auch bei denen, die ihr Leben verloren haben". Er sei jetzt bei den Trauernden, und er werde auch die nicht verlassen, "die Fehler gemacht haben" bei ihren Plänen und Entscheidungen. Gott lasse auch die nicht los, die in ihrer Panik kopflos geworden seien, weil sie nur noch ihr Leben retten wollen, schreibt Schneider.

Er räumte aber ein: "Gottes Wirken bei der Loveparade am vergangenen Samstag in meiner Heimatstadt Duisburg im Einzelnen zu entdecken und theologisch zu deuten, das ist mir unmöglich." Sein Glaube und seine theologische Überzeugung verböten es jedoch, in diesem Unglück einen Fingerzeig Gottes gegen die Loveparade oder gegen die Organisatoren zu sehen. "Und schon gar nicht kann ich die Todesfälle als göttliche Bestrafung für Teilnehmer verstehen", betonte Schneider. (epd)




Nikolaus Schneider in der Rheinischen Post vom 27. Juli 2010

"Das Wirken Gottes in meinem Leben konkret zu erkennen und zu deuten, das ist nicht leicht. Gottes Wirken bei der Loveparade am vergangenen Samstag in meiner Heimatstadt Duisburg in einzelnen Ereignissen zu entdecken und theologisch zu deuten, das ist mir unmöglich.
20 junge Menschen sind tot, mehr als 500 verletzt. Ungezählt sind die seelischen Verletzungen bei Teilnehmenden, bei Angehörigen, bei Einsatzkräften und bei den Verantwortlichen. Mein Glaube und meine theologische Überzeugung verbieten es mir, in diesem Unglück einen Fingerzeig Gottes gegen die Loveparade zu sehen, gegen die Stadt als Ort der Großveranstaltung und gegen die Organisatoren. Und schon gar nicht kann ich die Todesfälle als göttliche Bestrafung für Teilnehmer verstehen.

'Meint ihr, dass die 18, auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen sind als alle anderen Menschen, die in Jerusalem wohnen? Ich sage euch: nein!", spricht Jesus (Lukas 13,4 f.) und fordert alle Menschen auf, ihr Leben neu zu überdenken und auszurichten an Gottes lebendigem Wort.

Wo aber war Gott in Duisburg? War es Gott-verlassen, dieses Gelände des alten Güterbahnhofs? Bei allem Erschrecken und Fragen bin ich ganz gewiss: Gott hatte die Menschen nicht verlassen, die in der Massenpanik um ihr Leben gefürchtet und gekämpft haben. Er war auch bei denen, die ihr Leben verloren haben. Und Gott ist jetzt bei all denen, die Trauer tragen um geliebte Menschen. Er wird auch die nicht verlassen, die Fehler gemacht haben bei ihrem Planen und Entscheiden; und auch die lässt er nicht allein, die in ihrer Panik kopflos wurden, weil sie nur noch ihr Leben retten wollten.

Und Gott wird auch uns festhalten, deren Herzen jetzt so voll sind von Fragen und Zweifeln gegenüber Gottes Wirken am letzten Samstag in Duisburg. Ist er doch "nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben' (Psalm 34,19)."


 

Ratsvorsitzender fordert Transparenz
Interview Deutschlandradio Kultur vom 30. Juli 2010

Berlin (epd). Der amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, dringt auf mehr Transparenz bei der Aufklärung der Loveparade-Katastrophe von Duisburg. Es sei richtig, dass die Polizei an die Öffentlichkeit gegangen ist. "Auch die Stadtverwaltung könnte durchaus die Vorgänge bei sich öffentlich machen", sagte Schneider am Freitag im Deutschlandradio Kultur.

Dabei gehe es nicht darum, mit dem Finger auf Einzelne zu zeigen. Die Bewertung der Vorgänge sei von der Offenlegung der Informationen zu trennen, sagte der rheinische Präses.

Bei der Suche nach den Verantwortlichen für die Massenpanik vom vergangenen Samstag mit 21 Toten und mehr als 500 Verletzten verlangte Schneider Sorgfalt und Fairness. Für alle Beteiligten sei die Situation schwierig. "Ich habe auch ein gewisses Verständnis für den Oberbürgermeister, der Morddrohungen erhält und nun sehen muss, wie er sich und seine Familie schützt", sagte der evangelische Theologe, der in Duisburg aufgewachsen ist und dort als Pfarrer tätig war. Allerdings müsse man sagen, was man weiß. Die berechtigten Ansprüche der Öffentlichkeit auf Information seien zu befriedigen.

Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) hat sich seit mehreren Tagen zurückgezogen. Ungeachtet starken öffentlichen Drucks lehnt er einen Rücktritt bislang ab.

Schneider will am Samstag im ökumenischen Trauergottesdienst auch der Frage nachgehen, wie Gott solche Unglücke wie in Duisburg zulassen kann. Doch dürfe die Frage nach Gott nicht dazu dienen, von der Verantwortung von Menschen abzulenken. "Gott ist keine Lebensversicherung", sagte Schneider. Aber es gehöre zur Kraft des Glaubens, dass die Menschen in der Trauer nicht zerbrechen.