Weltweite Gemeinschaft

Palästinenser leitet künftig Lutherischen Weltbund

26. Juli 2010

Foto vom palästinensischen Bischof Munib A. Younan, der am Samstag (24.7.2010) zum neuen Präsidenten des Lutherischen Weltbundes (LWB) gewählt worden ist. (Foto: epd-bild / Norbert Neetz)

Wenn der Lutherische Weltbund (LWB) auf seinen Vollversammlungen Personalentscheidungen trifft, steht das Ergebnis meist schon vor der eigentlichen Wahl fest. So gab es in Stuttgart nur einen Kandidaten für das Präsidentenamt: Dr. Munib Younan (59), Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land. 300 von 360 Stimmen entfielen auf ihn. Auch die Wahl des 48-köpfigen Rates, der die Geschicke des LWB zwischen den Vollversammlungen lenkt, wurde routiniert abgewickelt. Eine Auswahl gab es nicht zu treffen, da die sieben Regionen des Weltbundes zuvor auf ihren Regionaltreffen die jeweils festgelegte Zahl von Kandidatinnen und Kandidaten nominierte.

Die Vollversammlung brauchte also nur noch zuzustimmen. Einmal mehr gab es Unmut unter den Delegierten, die 145 Mitgliedskirchen mit 70,1 Millionen Gläubigen repräsentierten. Der bezog sich nicht auf den Gender-Balance, denn die war mehr als vorbildlich: 22 Männern stehen 26 Frauen gegenüber. 28 Personen sind ordiniert, zwanzig Laien. Zehn Vertreterinnen und Vertreter sind unter 30 und gelten als Jugenddelegierte.

Sorgen bereitete manchen Delegierten, dass die einzelnen Regionen das Verhältnis zwischen Männern, Frauen, Ordinierten, Laien und Jugendlichen nicht ausgewogen gestalteten. So entsendet die Region Osteuropa gleich vier Bischöfe und eine Frau, die zugleich die Kategorie Frau und Jugenddelegierte abdeckt. Nordeuropa ist hingegen mit nur einem Mann, aber fünf Frauen vertreten. Die lutherischen Kirchen in Deutschland entsenden erneut sechs Personen in den Rat: Prof. Dr. Bernd Oberdorfer (Augsburg), Oberlandeskirchenrat Rainer Kiefer (Hannover), Superintendentin Martina Berlich (Eisenach), Pröpstin Frauke Eiben (Ratzeburg), Landesbischof Frank O. July (Stuttgart) und Jugenddelegierte Anna-Maria Tetzlaff (Greifswald).

Im Mittelpunkt der Elften Vollversammlung, die am 27. Juli in Stuttgart zu Ende geht, steht das Thema „Unser tägliches Brot gib uns heute“. Unter dieser Überschrift können alle Herausforderungen, vor denen die Menschheit in allen Erdteilen steht, debattiert werden. So gab es unter anderem eine Anhörung zum Thema illegitime Auslandsschulden. „Der Virus der Verschuldung und der Finanzkrise hat die ganze Welt angesteckt“, sagte der argentinische Pastor Ángel Furlan.

Jürgen Kaiser vom deutschen Bündnis Erlassjahr, in dem rund 700 entwicklungspolitisch engagierte Organisationen zusammenarbeiten, sieht Chancen, die Diskussion in Zukunft neu zu beleben. Die Finanzkrise biete die Gelegenheit, den Schuldendienst zu reformieren und auf rechtsstaatliche Systeme zu stützen, so Kaiser. Es gehe dabei nicht allein darum, Ländern Schulden zu erlassen, sondern – ähnlich den in der Wirtschaft üblichen Insolvenzverfahren – „die Mechanismen zu verändern, mit denen Länder im Schuldendienst gehalten werden“.

Furlan unterstrich den notwendigen Beitrag der Kirchen in dieser Diskussion: „Viele Staaten geben auch weiterhin Geld auf Kosten ihrer Bevölkerung aus. Wir als Gemeinschaft der Kirchen müssen davon sprechen und diesem Thema nicht aus dem Weg gehen, das gehört zu unserem diakonischen Auftrag.“ Ziel sei es, „durch eine prophetische Diakonie mit politischem Anspruch“ dauerhafte Veränderungen zu erreichen. „Ethisch ist es richtig, Schulden zurückzuzahlen. Es ist aber nicht richtig, für Betrug und Schwindeleien zu bezahlen“, so Furlán. Der frühere Präsident der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche (IELU) in Argentinien leitet seit 2004 ein LWB-Programm, das sich mit der Illegitimität von Auslandsschulden in Lateinamerika und der Karibik auseinander setzt.

Der LWB unterstützt seit Ende der 1990er Jahre Mitgliedskirchen, die sich dafür einsetzen, dass ihren Ländern bestimmte Auslandsschulden erlassen werden, weil sie von diktatorischen Regierungen für nutzlose Ausgaben aufgenommen wurden oder gegen die Interessen der Bevölkerung gerichtet sind. Ein Beispiel schilderten Bischof Sumoward Harris von der Lutherischen Kirche in Liberia und Margareta Grape von der Schwedischen Kirche. Bis 1980 hatte die Regierung Liberias Kriegsschiffe im Wert von 400 Millionen US-Dollar von Schweden gekauft, die seitdem das Land in Form von Auslandsschulden belasten. 2008 wandten sich die beiden Kirchen gemeinsam an die schwedische Regierung mit der Forderung, dass diese ihre Mitverantwortung anerkennt und Liberia die Schulden als illegitim erlässt. Die Initiative hatte teilweise Erfolg – die schwedische Regierung erließ die Schulden, erkannte allerdings keine Mitverantwortung an und verrechnete die Summe zu Lasten des Entwicklungshilfehaushalts.

Eine weitere Anhörung befasste sich mit dem Thema HIV und AIDS. Tief bewegt haben die Delegierten die Diskussion verfolgt. Im Mittelpunkt standen die Berichte von Betroffenen aus Afrika, Lateinamerika und Europa. Diese haben an die Kirchen appelliert, die Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit HIV und AIDS zu beenden und dafür zu kämpfen, dass alle Kranken die notwendigen Medikamente erhalten und versorgt und begleitet werden.

Eine zentrale Botschaft der Beiträge war, dass das Leben mit einer HIV-Infektion nicht aufhört. Die Beispiele machten deutlich, dass trotz der Krankheit ein relativ normales Leben möglich ist – mit Familie und Kindern. Dass dies auch in den Gesellschaften im südlichen Afrika akzeptiert wird, dafür macht sich ein Chor von zumeist selbst Betroffenen aus Simbabwe stark.

Die lutherischen Kirchen müssten jedoch trotz bestehender hervorragender AIDS-Programme angesichts der sich weiter ausbreitenden Erkrankung mehr tun, hieß es. Vor allem in der Präventionsarbeit gelte es, mehr Anstrengungen zu unternehmen. In persönlichen Bekenntnissen machten Betroffene auf eindringliche Weise deutlich, wie sie das Leben mit dem Virus bewältigen.

Bischof Younan hatte sich in der Rede vor seiner Wahl zum Präsidenten zur Fortsetzung der Arbeitsschwerpunkte des LWB bekannt. „Solange Armut, HIV und AIDS, Unterdrückung und Ungerechtigkeit bestehen, müssen wir eine kämpfende Gemeinschaft sein und dürfen uns nicht damit abfinden, dass die Welt so ist, wie sie ist“, sagte Younan. Welche konkreten Maßnahmen der LWB ergreifen und was er seinen Mitgliedskirchen empfehlen wird, wird die Botschaft zeigen, die die Vollversammlung am Schlusstag verabschieden wird.