Eine kleine Waldmusik für Rollstuhlfahrer

Von barrierefreien Freizeitangeboten profitieren nicht nur Menschen mit Behinderung

24. Juli 2010

An der Hörstation des rollstuhlgerechten Naturerlebniswegs bei Insny im württembergischen Allgäu hören Rollstuhlfahrer den Krummbach plätschern. (Foto: epd-bild / Hanna Spengler)

"Eine kleine Waldmusik" heißt die Erlebnisstation: Rollstuhlfahrer können am Sinneslehrpfad in Isny im Allgäu durch lange Hörrohre den Krummbach plätschern hören und dem Rauschen der Baumwipfel lauschen. "Für Menschen mit Behinderung ist es nicht selbstverständlich, die Natur zu erleben", sagt Rollstuhlfahrer Hubert Mößlein (39). Oft seien die Wege zu steil, keine Abgrenzungen zu Böschungen vorhanden oder Stufen im Weg. Barrierefreie Freizeitangebote wie der Naturpfad in Isny sind im Kommen.

"Rollstuhlfahrer werden hier nicht wie oftmals sonst an der Natur vorbeigeführt", sagt Anton Drescher, freizeitpädagogischer Leiter des evangelischen Stephanuswerks in Isny. An der Station "Biesenweiher" führt ein Holzsteg direkt aufs Wasser. "Um den Steg haben wir ein Sicherheitsgeländer gebaut", erklärt Drescher. Auch die Bänke seien etwas höher als herkömmlich und erleichterten den Wiedereinstieg in den Rollstuhl.

Bei der Planung des Weges sind in vielen Details die Ideen von Menschen mit Behinderung eingeflossen. Die Beschilderung des Wegs ist auf Augenhöhe der Rollstuhlfahrer, der schmale Pfad befestigt und durchgehend auf 1,80 Meter verbreitert worden.

Schon zu Beginn des Naturerlebniswegs sind etwa alle drei Meter flache Absätze in den Wegverlauf eingebaut. "Gut zum Ausruhen", sagt Rollstuhlfahrer Mößlein. An der abfallenden Uferböschung liegen zur Absicherung Holzstämme, der Weg hat eine behindertengerechte Steigung. "Nicht nur Rollstuhlfahrer, sondern auch Familien mit Kinderwagen und Senioren mit Rollatoren fühlen sich hier wohl", weiß Mößlein.

Tourismusanbieter beginnen, Menschen mit Behinderungen als Zielgruppe zu entdecken. Die Angebote reichen von Ballonfahrten für Rollstuhlfahrer über Reisen für Fußballfans mit körperlichen Einschränkungen bis zu Stadtführungen und Aromagärten für Blinde. "Insbesondere die sogenannten offenen Hilfen, die quasi jeder größere Träger der Behindertenhilfe inzwischen eingerichtet hat, sind Spezialisten für die Freizeitgestaltung", sagt Andreas Huber vom Internetportal Fredolin, einer Plattform für Menschen mit Behinderung in der Rhein-Neckar-Region.

"Prinzipiell haben behinderte Menschen die gleichen Wünsche und Forderungen wie alle anderen auch", erklärt Marcus Hülsen vom Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen. Auch sie suchen in ihrer Freizeit immer wieder neue Herausforderungen: Ob Paddeln oder Klettern im Hochseilgarten - mit und ohne Rollstuhl.

Für das entspannte Reisen seien aber auch barrierefreie Zugänge zu sanitären Anlagen und rollstuhlgerechte sowie bezahlbare Unterkünfte erforderlich. "Oft haben Hotels aber keine oder nur ein bis zwei Rollstuhlzimmer", beanstandet der Referent für offene Hilfen.

Der an der Ostsee gelegene Freizeit- und Familienpark Hansa-Park in Sierksdorf gehört zu den Einrichtungen, die auf Menschen mit Handicap eingestellt sind. Die Schiffschaukel "Fliegender Holländer", bei der bis zu einer Höhe von 24 Metern geschaukelt wird, verfügt wie zehn weitere Fahranlagen über einen Eingang für Rollstuhlfahrer. Kostenlose Leihrollstühle stehen ebenso zur Verfügung wie eine leicht lesbare Speisekarte für sehbehinderte Gäste.

"Der Trend zum barrierefreien Tourismus ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels deutlich zu spüren", sagt Susanne Ripper vom Deutschen Tourismusverband in Bonn. Die Zielgruppe seien dabei nicht nur Rollstuhlfahrer. Auch viele Senioren seien nicht mehr so mobil. Ziel der Anbieter müsse es daher sein, die gesamte touristische Servicekette barrierefrei zu machen, erklärt Ripper. "Dem Gast bringt es wenig, wenn seine Unterkunft zwar barrierefrei ausgestattet ist, der Rest der Stadt aber nicht."

Prinzipiell hat sich in den vergangenen Jahren einiges zum Vorteil behinderter Menschen getan", sagt Freizeitpädagoge Drescher vom Stephanuswerk. Von einem "gut ausgebauten Netz an barrierefreien Freizeitangeboten" sei man jedoch noch entfernt. (epd)