Wenige Worte wirken

Pfarrer Thomas Weiß verfasst zeitgenössische Lyrik

22. Juli 2010

Foto von Dichter-Pfarrer Thomas Weiß (Foto: epd-bild / Joachim Faber)

Religiöse Botschaften will Thomas Weiß mit seinen Gedichten nicht vermitteln. "Das kann ich beim Predigen sonntags auf der Kanzel tun", sagt der evangelische Pfarrer und Dichter. "Beim Schreiben geht s mir um mich selbst", formuliert Weiß, der Mitglied der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik in Leipzig ist. Er bezeichnet seine Gedichte als "offene Kunstwerke". Seine Lyrik, die nicht nur religiöse Themen umfasst, kommt mit wenigen, sorgfältig gewählten Worten aus.

Seit 1998 veröffentlicht der Theologe aus dem badischen Gaggenau seine Werke in Zeitschriften, Anthologien und bisher fünf Gedichtbänden. Der jüngste Band "von weit" ist im Klöpfer und Meyer Verlag (Tübingen) erschienen. Seine ersten Schreibversuche startete Weiß mit einem nach Rainer Maria Rilke formulierten Liebesgedicht. Daran sei er aber gescheitert, wie er schmunzelnd erzählt. Mittlerweile ist der 49-Jährige Stipendiat des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg.

Zum Schreiben ermutigt haben ihn die Gedichte der Schriftstellerin Hilde Domin, die 2006 in Heidelberg gestorben ist. Nachdem er als Jugendlicher die "beeindruckende alte Dame" kennengelernt hatte, las er später ihre Werke und fand ihre Art zu schreiben beeindruckend. "Neben Rilke und Domin hat mir auch Rose Ausländer die Lyrik erschlossen", erzählt der verheiratete Vater zweier Söhne.

Die Entstehung seiner Texte beschreibt Weiß so: "Ich schreibe tastend, suchend und versuche Worte." Mit seinen Gedichten wage er den Versuch, die Welt zu deuten, sagt er. Wie etwa in seinem Gedicht zur Schöpfungsgeschichte: "am anfang/das wort/aber noch kein/ohr/da schufst du dir/schall/raum/und gehör/die welt war/ausgesprochen/gut".

Bewusst verzichtet Weiß auf Interpunktion und Großschreibung. Damit will er seine Leser herausfordern, eine neue Sicht auf das scheinbar Vertraute zu entwickeln, Bekanntes neu zu lesen und zu verstehen.

Bei seinen Lesungen stellt der Sprachkünstler nicht sich selbst, sondern seine Lyrik in den Mittelpunkt. Unaufgeregt und zurückgenommen liest er mit ruhiger Stimme die wenigen Worte seiner Gedichte und lässt sie auf die Zuhörer wirken. Manche Texte wiederholt er noch einmal.

Die Reduktion auf Kernworte, schreibt der Tübinger Theologe Karl-Josef Kuschel im Vorwort zu Weiß' Gedichtband "von weit", zwinge Autor und Leser zur Langsamkeit. Es sei "wohltuend in einer Zeit der Wortinflation, der Wortverschleuderung, des Wortverschleißes, mit Thomas Weiß über den Gebrauch der Sprache nachzudenken".

Auch der Schriftsteller Peter Härtling hat sich mit Weiß Gedichten befasst: "Seit je misstraue ich der Verquickung von Religion und Literatur. Dort, wo der Traktat vorlaut wird, scheue ich zurück. Und davor hütet sich auch Thomas Weiß in seinen Gedichten". Weiß' Gedichte seien "von emotionaler Genauigkeit", urteilt Härtling.

Für Lyrik interessierte sich Weiß schon während der Schulzeit. Mit dem Studium der evangelischen Theologie in Bielefeld und Heidelberg begann seine erste intensivere Beschäftigung mit dem Gedichte-Schreiben, sein erstes eigenes "Hand- und Schriftwerklernen", wie er sagt.

Als Ausgleich zum Pfarrerberuf und dem Kontakt mit vielen Menschen sucht Thomas Weiß die Stille. Die findet er nicht nur beim Lesen und Nachdenken über Worte, sondern auch beim Radfahren. Er sei "leidenschaftlicher Hobby-Radrennfahrer", sagt Weiß. Vor vier Jahren initiierte er die erste Radfahrerkirche in Baden.

Seine Söhne, zehn und zwölf Jahre alt, sind noch zu jung, um die Lyrik des Vaters letztlich zu verstehen. Sie sind aber stolz, dass ihr Vater Bücher veröffentlicht. Er habe zwar auch schon mal Gedichte für seine Söhne geschrieben, erzählt Weiß, aber es sei beim Versuch geblieben: "Lyrik für Kinder schreiben kann ich nicht." (epd)