„Zu jeder Zeit, an jedem Ort“

Die musikalischen Handschriften von Johann Sebastian Bach werden im Internet veröffentlicht

18. Juli 2010

Manuelles Papierspalten eines Bach-Autographen zur Behandlung gegen Tintenfraß. (Foto: epd-bild / Staatsbibliothek zu Berlin)

Nicht jedem Organisten, Chorleiter oder Wissenschaftler ist es vergönnt, für Nachforschungen schnell einmal 300 Jahre alte Original-Notenblätter des Komponisten Johann Sebastian Bach (1685-1750) zur Hand zu haben. Das soll sich jetzt ändern. Künftig sind die Bach-Autographen unter www.bach-digital.de online einzusehen. Und das in einer Bild-Qualität, die das Original fast überflüssig macht.

Ziel sei es, das gesamte Werk erstmals seit dem Tod des Komponisten wieder zusammenzuführen, sagt Martina Rebmann, Leiterin der Musikabteilung in der Berliner Staatsbibliothek. Sie verfügt über 80 Prozent der Originalquellen. Darunter sind so herausragende Werke wie das Weihnachtsoratorium, die Kunst der Fuge und die h-Moll-Messe.

Rund 40 Prozent von über 20.000 Seiten aus knapp 700 Handschriften sind bislang digitalisiert worden. Bis zum kommenden Jahr sollen alle Notenblätter im Internet verfügbar sein. "Für Forscher und andere ist die virtuelle Zusammenführung sehr wichtig." Damit sei ein Einblick "zu jeder Zeit an jedem Ort möglich", sagt Rebmann.

Neben der besseren Verfügbarkeit steht dabei der Schutz der Originale im Vordergrund. Schlechtes Papier, falsche Lagerung und sogenannter Tintenfraß durch eisenhaltige Tinte haben den Handschriften in den vergangenen Jahrhunderten stark zugesetzt. Jeder Nutzer bedeutet da eine weitere Gefahr. Unwiederbringliche Schäden weist etwa die Partitur der Bach'schen h-Moll-Messe auf. Teilweise fallen Notenköpfe aus den Handschriften.

Allein in der Musikabteilung der Berliner Staatsbibliothek werden monatlich im Durchschnitt über 100 Original-Bände der Bach-Sammlung benutzt. Sie lagern ansonsten in einem Tresor in sechs Stahlschränken bei 18 Grad Celsius und 50 bis 55 prozentiger Luftfeuchtigkeit. Viele studieren die Bach-Handschriften auch auf Mikrofiches oder Mikrofilmen. Allerdings ist die Bildqualität deutlich schlechter als in der digitalisierten Fassung. Hinzu kommen zahlreiche Reproduktionsaufträge an die Bibliothek.

An dem seit April 2008 laufenden Projekt "Bach Digital" sind neben der Berliner Staatsbibliothek auch das Bach-Archiv in Leipzig und die Sächsische Landesbibliothek in Dresden beteiligt. Zudem stellte die Jagiellonische Bibliothek im polnischen Krakau einige Originale zur Verfügung. Insgesamt verfügen die beteiligten Einrichtungen damit über mehr als 90 Prozent aller Autographe Bachs. Finanziert wird das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Auf rund vier Terabyte (4.000 Gigabyte) schätzt Musikwissenschaftlerin Rebmann die gesamte Datenmenge, die unter www.bach-digital.de künftig verfügbar sein wird. Gepflegt wird die Datenbank vom Leipziger Universitätsrechenzentrum. So finden sich zu jeder Abbildung einer Handschrift umfangreiche Informationen unter anderem über Entstehungs- und Sammlungsgeschichte, Wasserzeichen und Maße.

Will es jemand ganz genau wissen, können mittels einer Zoom-Funktion auf der Internetseite kleinste Korrekturen des Komponisten, Randbemerkungen oder Beschädigungen an den Notenblättern entdeckt werden. Vor allem für einen Vergleich der Abschriften von der Original-Partitur, die oftmals von den Kindern Bachs und seinen Schülern gemacht wurden, ist dieses Werkzeug hilfreich.

So würden die Originale "weitestgehend verzichtbar", hofft Rebmann. "Wir müssen einfach einen Kompromiss finden, damit die Autographe auch noch in 100, 150 Jahren benutzt werden können", sagte die promovierte Musikwissenschaftlerin und packt das Schlussblatt einer Bach-Kantate zurück in den Karton, nicht ohne vorher Vorder- und Rückseite mit einem alterungsbeständigen Papier zu bedecken. Hindurch schimmert noch der Schriftzug Bachs "Soli Deo Gloria" ("Allein Gott zur Ehre"), den er häufig ans Ende seiner Werke setzte. (epd)