Windmaschinen, Klangwunder und „Teufels Trompeten“

Kantor geht mit Besuchern auf Orgelfahrt durchs Ruhrgebiet

26. Juni 2010

Mit dem Bus zu Orgelschätzen im Ruhrgebiet (Foto: epd-bild / Bertold Fernkorn)

Für die Schönheiten der dörflichen Ruhrgebietslandschaft zwischen Essen, Hattingen und Bochum bleibt keine Zeit. Die Reisenden konzentrieren sich im Bus auf Metallguss, Gebläsekonstruktionen, Antriebsarten für Ventile und Schallphysik bei Pfeifen. Bernhard Schüth referiert nicht über Industrieanlagen, sondern über Orgelbau.

Der Kantor der evangelischen Gemeinde Essen-Überruhr führt auf seinen Orgelfahrten im Rahmen der Ruhr.2010 zu klangreichen Schätzen in stillen Ecken der Region. 200 Jahre Orgelbaugeschichte im Kulturhauptstadtjahr stehen noch bis Oktober auf dem Programm des Evangelischen Kulturbüros, samt kleiner Konzerte der Kirchenmusiker auf "ihren" Orgeln.

Wer französische Klangtraditionen des 19. Jahrhunderts, süddeutschen Orgelbau oder Neubauten kennenlernen will, muss nicht internationale Konzertsäle bereisen. Das Ruhrgebiet vereint eine reiche Orgelbautradition unter rund 1.000 Kirchturmspitzen, abseits von Zechen und Fördertürmen.

Ob die romanische Dorfkirche in Bochum-Stiepel, die kleine neugotische Sandsteinkirche in Hattingen-Niederwenigern oder die große Backstein-Lukaskirche in Altenbochum-Laer - ihre Orgeln sind wie überall auf der Welt Unikate: Einzigartig in Form, Klang, in der Anpassung an die Raumakustik und in der Bauweise des komplexen Innenlebens.

Helmut Engels, seit 1966 Organist an der evangelischen Kirche in Hattingen-Niederwenigern, schwärmt von "seiner" Ibach-Orgel. "Ibach-Orgeln vermeiden das Schreiende", sagt er und verweist auch auf die leicht und geräuschlos zu spielenden Manuale und Pedale, also die Tastenreihen für Hände und Füße. Der 81-jährige passionierte Kirchenmusiker und Orgelkenner machte sich stark für die 1990 erfolgte Restaurierung des Instruments, das 1875 im traditionsreichen Barmer Unternehmen Ibach gefertigt wurde. Eine Privatspende machte es möglich.

Engels lässt die verschiedenen Register erklingen: "Principal", "Flutdouce" (süße Flöte), "Rohrflöte", "Viola" oder "Vox Celeste", die "Himmelsstimme". Insgesamt 17 Register, also Klangfarben, besitzt das Instrument seiner Kirche. Beim Registerzug "Calcantenklingel" ertönt nur ein Bimmeln. Organist Engels lacht, denn das Glöckchen ist das alte Signal für den Calcanten, den Blasebalgtreter. Der musste früher, bevor der Strom Einzug hielt, das Gebläse mit der Hand oder dem Fuß bedienen und vor dem Einsatz des Organisten für ausreichend Luftzufuhr sorgen.

So manche Pfeifenreihe steht in einer "Schwellkammer", einem geschlossenen Kasten, dessen Lamellen der Organist per Pedal regulieren kann. Ein Besuch der Lukaskirche in Altenbochum-Laer macht hörbar, was für feine und leise Töne eine große Orgel dadurch erzeugen kann. Ätherisch und hauchzart klingt hier das Register "Aeoline". "Die feinen Pfeifen dazu müssen Sie sich wie Spargel vorstellen", sagt Hausorganist Hans-Christian Tacke.

Die entschlussfreudige und finanzkräftige Gemeinde baute 1899 Kirche samt Orgel in nur gut einem Jahr, mit besonderer Mechanik. Oben auf der Empore ist es zu hören, das leichte Rauschen. Denn hier wird neben dem Windstrom in den Pfeifen eine zweite Pneumatik benötigt: die Übertragung vom Tastenanschlag zu den Pfeifen. "Und so werden an dieser Orgel auch keine Register 'gezogen', sondern Ventilschalter gedrückt", erläutert Tacke.

Durch die Vielfalt der Klangfarben überraschen Organisten ihr Publikum außerhalb des Gottesdienstes gerne mit besonderer Musik-Literatur. Wer hätte gedacht, wie gut französische Marschmusik aus der Napoleonzeit zu einer Orgel passt? Schüth demonstriert es mit einem Stück von Louis James Alfred Lefébure-Wely. Einst waren die "Windmaschinen" von reformatorischen Eiferern als "Teufels Trompeten" verschrien. (epd)