Ein Zufluchtsort im Gangsterparadies

Evangelische Friedenskirche hilft Menschen in Johannesburger Problemviertel Hillbrow

12. Juni 2010

Kirche der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Hillbrow, einem Stadtteil von Johannesburg (Foto: epd-bild / Hanno Gutmann)

Mit geballter Faust kniet der Jugendliche über dem am Boden liegenden Mädchen. In Erwartung des Schlages hält sie verzweifelt die Hände vors Gesicht. Doch diesmal passiert nichts: Es ist nur Theater. Jugendliche im Johannesburger Problemviertel Hillbrow setzen in Szene, was ihnen täglich auf der Straße begegnet: Gewalt, Armut, Drogen und Aids. Die Friedenskirche - eine evangelische Gemeinde - will inmitten dieser Wirklichkeit Hoffnung und Perspektive bieten.

Die Metropole Johannesburg gilt noch immer als eine der gefährlichsten Städte der Welt, nicht zuletzt wegen des Innenstadtviertels Hillbrow. Der einstige Vorzeigebezirk, in dem während der Apartheid nur Weiße wohnten, erlebte in den 90er Jahren einen dramatischen Wandel. Zehntausende arme Einwanderer aus ganz Afrika, die zuvor in Slums am Rande von Johannesburg lebten, zogen ins Zentrum.

"Hillbrow war zeitweise der am dichtesten besiedelte Fleck in ganz Afrika", erinnert sich der 55-jährige Pfarrer der Friedenskirche, Kees Appelo. "Hier lebten 400.000 Menschen auf einem Quadratkilometer." Bis zu acht Familien hausten in einer Wohnung. Auch Drogenbarone und Bandenchefs mieteten Wohnungen, die Verbrechensrate stieg kräftig an. "Ende der 80er Jahre war Hillbrow sogar für die Polizei eine No-go-Area", sagt Appelo.

GP, das Auto-Kennzeichen für die Provinz Gauteng, in der Johannesburg liegt, übersetzten viele mit Gangsterparadies - mit Hillbrow als Hauptstadt. Die Weißen zogen ebenso weg wie Unternehmen - vorzugsweise in nördliche Vororte, in dem die Wohlhabenderen hinter Mauern und Sicherheitszäunen wohnt.

Auch die Afrikaans sprechenden Apartheid-Kirchen der Weißen verließen das verrufene Hillbrow. Anders die bis dahin rein deutschsprachige evangelische Friedensgemeinde, die Ende des 19. Jahrhunderts von deutschen Lutheranern gegründet worden war: Sie beschloss, am Ort zu bleiben und sich für Schwarze zu öffnen. Mehr noch: Sie begann, sich für die junge schwarze Bevölkerung sozial zu engagieren, die in den heruntergekommenen Wohnungen Hillbrows und auf der Straße lebte.

Was mit Musikunterricht für einige Kinder begann, entwickelte sich zu einer großen Projektarbeit mit rund 30 Mitarbeitern, die seit 1998 von einer gemeinnützigen Stiftung getragen wird. Das Budget verfünffachte sich in den letzten fünf Jahren auf 3,8 Millionen Euro. Spenden kommen überwiegend aus Deutschland, etwa vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED).

Zum Konzept gehören neben dem Theaterprojekt, in das auch ein Dutzend Schulen eingebunden sind, Nähkurse für alleinerziehende Frauen, eine Musikschule, Tanzgruppen, Computerkurse und ein Jugendzentrum. "Wir wollen eine Oase und ein Zufluchtsort für die Menschen sein, die hier leben", sagt der südafrikanische Theologe Appelo, der mit einer deutschen Pfarrerin verheiratet ist. Die Leute erhielten nicht nur Almosen. "Wir helfen ihnen, aus eigener Kraft wieder auf die Beine zu kommen."

Wie es ist, ganz am Ende zu sein, hat Gladys Jackson erfahren. Die 40-Jährige wurde durch eine Krebserkrankung endgültig aus der Bahn geworfen und lebte mit ihrem zwölfjährigen Sohn in einem Heim, bis sie in die Friedenskirche kam. Sie lernte nähen und sticken. Von den Kleidern und Taschen, die sie verkauft, kann sie jetzt eine eigene Wohnung bezahlen.

Trotzdem beginnt für Jackson jeden Tag neu der Kampf ums Überleben, häufig reicht es nicht für das Nötigste. "Gestern hatte ich nichts zu essen", sagt sie. Angst macht ihr nach wie vor die Gewalt. Nachts geht sie nicht vor die Tür, bei Tag bewegt sie sich nur in Gruppen.

Während der Fußball-Weltmeisterschaft in den kommenden vier Wochen macht sich Appelo vor allem Sorgen um die Kinder. Es gebe Warnungen vor zunehmendem Menschenhandel. Um die Jungen und Mädchen von der Straße zu holen, bietet die Friedenskirche Public Viewing für Kinder und Jugendliche an. Schon morgens können sie für Musik, Sport und Workshops auf das Gelände kommen, auch Essen wird ausgeteilt. Bis zu 800 Kinder täglich erwartet der Pfarrer. Auf dem Kirchengelände seien sie vor Gewalt, Missbrauch und Entführungen sicher. (epd)