Die alte Dame auf dem Ölberg

Seit 100 Jahren steht der Turm der evangelischen Himmelfahrtkirche über den Dächern von Jerusalem

09. April 2010

Die Himmelfahrtkirche auf dem Ölberg in Jerusalem

Der massive Turm der evangelischen Himmelfahrtkirche ist eines der Wahrzeichen von Jerusalem. Wie ein preußischer Wächter überblickt er seit 100 Jahren vom Ölberg aus die Heilige Stadt. Der Turm mit der Pickelhaubenspitze steht auf dem rund zehn Hektar großen Auguste-Victoria-Gelände, zu dem neben der Kirche auch ein Hospiz gehört. "Als das Areal am 9. April 1910 eingeweiht wurde, war es das modernste Gebäude Palästinas", erzählt Pfarrer Michael Wohlrab, der gemeinsam mit seiner Frau Ulrike der Gemeinde auf dem Ölberg vorsteht. "Es war das erste Gebäude mit elektrischem Licht."

Der deutsche Kaiser Wilhelm II. hatte die Himmelfahrtkirche einst errichten lassen - ein Zeichen seines protestantischen Anspruchs auf die Heiligen Stätten. Er widmete das Gelände seiner Frau Auguste Viktoria. Es sollte Pilgern und ortsansässigen Gläubigen als Anlaufpunkt und Begegnungsstätte dienen.

Dass die Gebäude heute noch stehen, ist Teddy Kollek zu verdanken, dem ehemaligen Bürgermeister von Jerusalem. Denn Ende der 1980er Jahre hatte die EKD beschlossen, die damals baufälligen Gebäude abzureißen. Da mischte sich Kollek ein. "Wenn ihr Deutschen die Kirche abreißen wollt", soll er gesagt haben, "dann werde ich mich als Wiener Jude dafür einsetzten, dass sie erhalten bleibt, denn sie gehört zur Skyline von Jerusalem."

Zuvor hatten die Gebäude eine wechselvolle Geschichte durchlebt. Mit der Eroberung Jerusalems durch die Briten zog 1917 der britische Hochkommissar in das Hospizgebäude ein und regierte von hier aus für die nächsten zehn Jahre das Mandatsgebiet. Die mit Marmor und Mosaiken verzierte Kirche stand leer.

1927 erschütterte ein schweres Erdbeben Palästina. In der deutschen Zeitung von Santiago de Chile war damals über das Auguste-Victoria-Gelände zu lesen: "Mauern und Giebel stürzten ein, in Wänden gab es große Risse, besonders beschädigt wurden Kirche und Turm, der einzustürzen droht und wohl abgetragen werden muss." Während des Zweiten Weltkriegs nutzten die Engländer das Hospiz dann als Militärlazarett.

Nach Kriegsende erklärte sich der Lutherische Weltbund bereit, die gewaltige, aber baufällige Burg auf dem Ölberg treuhänderisch zu verwalten. Genutzt wurde jedoch nur das Hospiz. "Die Kirche, der Turm und der angrenzende Kaisersaal versanken bis 1988 in einen Dornröschenschlaf", sagt Wohlrab. "Die Kirche diente dem Krankenhaus als Lagerraum."

Erst auf die Initiative Teddy Kolleks hin wurde die Kirche schließlich mit Geldern der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Auswärtigen Amtes zwischen 1988 und 1991 renoviert. "Ein Jude, der miterlebt hat, wie in Deutschland die Synagogen brannten, setzt sich dafür ein, dass eine deutsche Kirche erhalten bleibt", sagt Wohlrab noch heute erstaunt und hat dennoch eine Erklärung: Zwar sei die Generation von europäischen Juden, zu der auch Kollek gehörte, vom Holocaust und der Nazizeit traumatisiert. "Gleichzeitig ist Kollek in Österreich aufgewachsen und hatte eine starke Verbindung zu Europa und zum Kaiserreich."

Inzwischen ist auch der neu restaurierte Kaisersaal neben der Kirche wieder geöffnet. Damit sind zum Jubiläum alle Gebäude unter deutscher Verwaltung wieder instand gesetzt. Neben zahlreichen anderen Spendern hat sich der jüdische Leipziger Unternehmer Andreas Stolle an den Kosten beteiligt. "Ich finde es wichtig, dass über die religiösen Grenzen hinweg dort oben ein Begegnungszentrum entsteht", sagt Stolle. "Das ist ein Zeichen von Normalität und in einer Stadt wie Jerusalem eine besondere Sache."

100 Jahre nach seiner Einweihung ist das Auguste-Victoria-Gelände heute voller Leben: In der Kirche finden regelmäßig Gottesdienste und Konzerte statt. Der Lutherische Weltbund betreibt nach wie vor das Krankenhaus. Es gibt einen interreligiösen Kindergarten und ein sehr beliebtes Café, in dem auch Gemeindeabende veranstaltet, Filme gezeigt und Lesungen gehalten werden. Darüber hinaus leiten Ulrike und Michael Wohlrab auf dem Gelände das evangelische Pilgerzentrum Jerusalems und empfangen deutsche Pilgergruppen.

Nach den Deutschen sind säkulare Juden die zweitgrößte Gruppe der Besucher, die zur Besichtigung auf den Ölberg kommen. Besonders gerne zeigt Pfarrer Wohlrab Besuchern eine von Kaiser Wilhelm gespendete Siddur - ein jüdisches Gebetbuch, das zur Kaiserzeit auf Deutsch und auf Hebräisch verfasst wurde und das heute in der Kirche ausgestellt ist. "So kommen wir als Christen heute mit den Juden ins Gespräch", sagt der Pfarrer. (epd)