Karfreitag: Erlösung durch Leid?

01. April 2010

Kreuz im Gegenlicht

Am Karfreitag gedenkt die Christenheit an Tod und Leiden Jesu. Wie ist sein Leiden zu verstehen? „Gottseidank ist ja bald Ostern“, mögen manche denken. Aber die einfache Gleichung, dass die Auferstehung Jesu, die wir Ostern feiern, das Leiden auslöscht, geht nicht auf. Karfreitag und Ostern geschehen nacheinander, aber bleiben im Kern doch ein Ineinander.

Dies illustriert besonders eine Ostergeschichte aus dem Johannesevangelium: Die Jünger sitzen traurig, ja am Boden zerstört, in Jerusalem beisammen, die Türen verschlossen aus Furcht vor den Feinden, die Jesus gekreuzigt hatten. Da kam Jesus, so erzählt der Evangelist Johannes (Kapitel 20, 19-31), trat mitten unter sie und spricht: „Friede sei mit euch!“ Und als er das gesagt hatte, so erzählt der Evangelist Johannes, zeigte er ihnen die Nägelmale an seinen Händen und Füßen und die Wunde an der Seite, die von der Kreuzigung herrührten, wie es Johannes ein Kapitel vorher berichtet hatte. Einer von den Jüngern mit Namen Thomas war nicht dabei gewesen als dies geschah. Die anderen Jünger erzählten ihm, dass Jesus auferstanden ist, aber er glaubt es nicht.

Acht Tage später sind die Jünger wieder versammelt, diesmal vollständig mit dem Jünger Thomas. Wieder sind die Türen verschlossen, wieder erscheint Jesus unter ihnen, wieder grüßt der Auferstandene mit den Worten: „Friede sei mit euch!“. Dann spricht er den Jünger Thomas direkt an. „Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Da bekennt Thomas, so erzählt der Evangelist Johannes weiter: „Mein Herr und mein Gott!“ Jesus spricht zu ihm: „Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben! Thomas hat bekam aufgrund dieser Begebenheit im Laufe der Kirchengeschichte den Beinamen „ungläubiger Thomas“, der sprichwörtlich geworden ist.

Ein bisschen ungerecht erscheint der  Beiname „ungläubiger“ Thomas schon, denn einfach ist die Sache nicht. Der Glaube, dass der Gekreuzigte auferstanden ist, dass also durch das Kreuz hindurch Heil geschehen kann, fällt nicht leicht und war schon immer umstritten. Selbst der Apostel Paulus gibt im ersten Korintherbrief zu, dass die Predigt vom Kreuz vielen „ein Ärgernis und eine Torheit“ ist (Kapitel 1,23), auch wenn es für ihn selbst und alle Gläubigen eine Gotteskraft sei. Nach zwei Jahrtausenden Christentumsgeschichte zeigt sich aber: Aus der für den menschlichen Verstand schwer entwirrbaren Dynamik von Kreuz und Auferstehung, von Finsternis und Licht, von Tod und Leben, bezieht der christliche Glaube seine Inspiration und seine Kraft.

Problematisch wird es, wenn in der Deutung Kreuz und Auferstehung sehr auseinandergerissen werden und das Kreuz überbetont wird. Manche leidensverliebte Theologen der Kirchengeschichte waren davon nicht frei. Wenn das Leiden überhöht und isoliert verherrlicht wird, droht es zu einer trostlosen knechtischen Angelegenheit zu werden, zu einem lebensfernen Leidensrigorismus. Selbst der große Theologe und berühmte Lieddichter Paul Gerhardt war davor nicht gefeit. In seinem Passionslied „O Welt sieh hier dein Leben“ heißt es in einer Strophe: „Ich will ans Kreuz mich schlagen / mit dir und dem absagen / was meinem Fleisch gelüst‘ / was deine Augen hassen, / das will ich fliehn und lassen, / so viel mir immer möglich ist“ (EG 84, Strophe 12).

Hier scheint der Leidensbogen deutlich überspannt, denn nicht wir sollen uns kreuzigen lassen, sondern wir sollen begreifen, dass Jesus durch Kreuz und Leid für uns den Weg zum Heil geebnet hat. Es ist schwer, ja unmöglich, wie schon Paulus andeutet, dies allein mit dem Verstand nachzuvollziehen. Deswegen spielen beim Glauben an Kreuz und Auferstehung viele Dimensionen eine Rolle. Nicht umsonst hat sich die Kunst, ob Poesie, Malerei, bildende Kunst und auch besonders die Musik der Deutung der Passion Christi verschrieben. Eine besondere Rolle in der Kulturgeschichte der abendländischen Neuzeit spielen die Passionsmusiken von Johann Sebastian Bach (1685-1750), der nicht umsonst im 20. Jahrhundert den Beinamen „fünfter Evangelist“ erhielt.

In Bachs Johannespassion gibt es eine besondere Arie, in der der Bassist und der vierstimmige Chor zusammenwirken (Video siehe unten). Die Stück folgt direkt nachdem Jesus am Kreuz gestorben ist. Der Solo-Bass, der vorher ja nach Bachs Intention die Worte Jesu gesungen hat, gibt diese Rolle ab und tritt gleichsam aus ihr heraus, indem er den am Kreuz Gestorbenen direkt anspricht und, begleitet von einem berückenden Solo des Violoncello, nach der Heilswirkung dieses Sterbens fragt: „Mein teurer Heiland, lass dich fragen, da du nunmehr ans Kreuz geschlagen / und selbst gesagt: Es ist vollbracht/ Bin ich vom Sterben frei gemacht?“. Zwischen den Zeilen, von Bach genial hinein komponiert, antwortet der Chor leise in seiner Rolle als gläubige Gemeinde: „Jesu, der du warest tot, / lebest nun ohn Ende. / In der letzten Todesnot / nirgend mich hinwende / als zu dir, der mich versühnt, / o, du lieber Herre!“. Ein musikalisches Zwiegespräch, das den Weg zur Erlösung weist, aber das Leid nicht verleugnet.

Merke: Karfreitag und Ostern geschehen nacheinander, aber bleiben im Kern doch ein Ineinander. Dieser Glaube, gespeist aus Tod und Auferstehung Jesu Christi, sendet Menschen bis heute in die Welt, um mit Herz und Mund und Tat und ihrem ganzem Leben den Herrn Jesus Christus zu verkündigen.