Pfarrer, Politiker und Publizist

Vor 150 Jahren wurde der evangelische Theologe Friedrich Naumann geboren

24. März 2010

Portraitskizze von Friedrich Naumann

In der späten Kaiserzeit gehörte er zu den charismatischsten Persönlichkeiten in Deutschland. Aus der großen Zahl zumeist längst vergessener Politiker des späten Wilhelminismus hebt Friedrich Naumann (1860-1919) sein Konzept eines sozialen Liberalismus hervor. Dafür wollte er heterogene politische Kräfte vom Nationalliberalen Ernst Bassermann bis zum Arbeiterführer August Bebel zusammenbringen. Doch die Zeit sei für ihn nicht geschaffen gewesen, sagte der Zeitgenosse und Soziologe Max Weber über Naumann. Erst nach Naumanns Tod 1919 kam es zur Weimarer Koalition aus Linksliberalen, katholischem Zentrum und SPD.

Die Reichsgründung stand noch bevor, als Naumann im Störmthaler Pfarrhaus unweit von Leipzig am 25. März 1860 geboren wurde. In der Tradition der Familie - sein Großvater war Pfarrer an der Leipziger Nikolai-Kirche - entschied er sich für die Theologie. Die Studienjahre verbrachte er in Leipzig und Erlangen. Dem Pfarramt wich er zunächst aus und ging als "Oberhelfer" an das Hamburger "Rauhe Haus" des Diakonie-Gründers Johann Hinrich Wichern. Im praktizierten sozialen Engagement aus christlicher Verantwortung entstand der Grundton des "Christlich-Sozialen", der sein theologisches Denken und Handeln maßgeblich bestimmte.

In seiner Antrittspredigt 1886 im sächsischen Langenberg versicherte Naumann, ein Seelsorger wolle er sein "für den Mann im Bettelkleid ebenso wie für den, der weit den Berg hinauf sein eigen Feld bestellt". Auf das Erstarken der Sozialdemokratie suchte er nach neuen Antworten auf die soziale Frage: "Was tun wir gegen die glaubenslose Sozialdemokratie?", fragte Naumann. Als Gegenentwurf zum sozialdemokratischen Zukunftsideal wollte er die Arbeiter für ein christlich-sozial geprägtes Kaisertum gewinnen, soziale Frage und nationalen Machtstaat in Einklang bringen sowie Theologie und Ökonomie aussöhnen.

Naumanns Grund war "der feste Ackerboden des Luthertums", wie sein Schüler Theodor Heuss einmal sagte. In Berlin gab er die christlich-soziale Publikation "Die Hilfe" mit den Untertiteln "Gotteshilfe, Selbsthilfe, Staatshilfe, Bruderhilfe" heraus. Im "Evangelisch-sozialen Kongreß" geriet er in Gegensatz zu den älteren Sozialkonservativen um den Hofprediger Adolf Stoecker. Im Nachruf auf seinen Mentor Stoecker sagte er: "Wir stehen links, er stand rechts."

Nach 1895 distanzierte er sich vom christlich-sozialen Konzept und wandte sich der Politik zu. Unter dem Einfluss von Max Weber lud Naumann alle nichtkonservativen Christsozialen zur Gründung des "Nationalsozialen Vereins" ein. Der Parteigründung folgte 1896 der Abschied vom Pfarrerberuf - getragen von der Einsicht, Sozialreformen könnten allein mit Hilfe einer Partei durchgesetzt werden. Der Historiker Frank-Michael Kuhlemann widerspricht der Darstellung, Naumann sei spätestens mit der Hinwendung zur Politik religiös gescheitert. "Die Religion bleibt für ihn, auch nach der Jahrhundertwende, eine maßgebliche Instanz und ein Antrieb für sein politisches Handeln", bilanziert Kuhlemann.

Auch vehemente nationale Töne sind bei Naumann zu finden. Aus dem "Bundschuhpfarrer", als der er wegen des Sozialismus für die Konservativen galt, wurde er für Kritiker zum "Hunnenpfarrer", der die imperialen Ziele des Kaisers unterstützt. Vor dem Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg erklärte Naumann, "in Deutschlands weltpolitischer Sendung" liege "der tiefe sittliche Grund, weshalb wir gegen die Leiden der christlichen Völker im türkischen Reiche politisch gleichgültig sein müssen".

Nach dem Scheitern seiner Partei schloss er die Nationalsozialen mit der linksliberalen Freisinnigen Vereinigung zusammen, Motiv war die Erneuerung des Liberalismus. In Heilbronn wurde er 1907 in den Reichstag gewählt. Nach einer Unterbrechung errang er bei einer Nachwahl 1913 mit Unterstützung von Gustav Stresemann abermals ein Mandat. Für die 1918 gegründete Deutsche Demokratische Partei (DDP), deren Vorsitzender er kurz vor seinem Tod im Jahr 1919 wurde, gehörte er der Nationalversammlung an und arbeitete im Verfassungsausschuss mit. Bei der Beratung über die Weimarer Reichsverfassung setzte er sich unter anderem für den öffentlich-rechtlichen Status der Kirche, den Religionsunterricht als eigenständiges Lehrfach sowie die Gemeinschaftsschule ein.

"War Friedrich Naumann überhaupt ein Liberaler", fragte der deutsch-britische Soziologe und Politiker Ralf Dahrendorf. Zweifel hielt der Vordenker der Liberalen nicht für angebracht: "Naumann war der eigentliche Sozialliberale in der Geschichte des deutschen Liberalismus." Bis heute ist er Namenspatron für die FDP-nahe politische Stiftung. (epd)