"Große Nöte bedürfen neuer, mutiger Gedanken"

Vor 100 Jahren starb der Theologe und Bethel-Leiter Friedrich von Bodelschwingh

22. März 2010

Patientin in der Behindertenwerkstatt Bethel

Sein Name steht für diakonisches Engagement und höchst effizientes Unternehmertum im Dienst für Arme, Kranke und Schwache. "Neue große Nöte bedürfen neuer, mutiger Gedanken", war das Lebensmotto des evangelischen Theologen Friedrich von Bodelschwingh. Unter seiner Leitung wuchsen die nach ihm benannten v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld zu einem der größten diakonischen Unternehmen Europas. Vor 100 Jahren, am 2. April 1910, starb der Verfechter der sozialen Fürsorge und tief fromme Christ im Alter von 79 Jahren.

Bodelschwinghs Lebensleistung findet bis heute höchste Anerkennung. Als der WDR vor wenigen Wochen die Zuschauer aufrief, die 20 Besten Nordrhein-Westfalens zu küren, wählten ihn die Zuschauer in eine illustre Runde mit Rennfahrer Michael Schumacher, dem früheren Bundespräsidenten Johannes Rau (SPD) und der Fernsehmagazin-Figur "Die Maus".

Der 1831 im westfälischen Tecklenburg geborene Theologe sei ein Wegbereiter einer "Moderne mit menschlichem Antlitz" gewesen, schreibt der Historiker und Bodelschwingh-Experte Hans-Walter Schmuhl in seiner Bodelschwingh-Biografie. Der erste Bundespräsident Theodor Heuss bezeichnete Bodelschwingh wegen seines geschickten "Fundraisings" anerkennend als "den genialsten Bettler", den Deutschland je gesehen habe.

Bodelschwingh war nicht der Gründer der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Doch ohne seine Ideen, sein Engagement und seine starke Frömmigkeit wäre Bethel nicht zu dem geworden, was es bis heute ist. In den 38 Jahren seiner Leitung baute Bodelschwingh die kleine Pflegeeinrichtung für Epilepsiekranke zu einer Siedlung aus und erschloss obendrein immer neue Arbeitsfelder.

"Sein Einsatz für epilepsiekranke Menschen, für Wanderarbeiter, für behinderte oder benachteiligte Menschen ist bis heute beispielhaft und zugleich prägend für Bethel", sagt der heutige Bethel-Chef Ulrich Pohl. Bodelschwingh habe im 19. Jahrhundert den Blick der Gesellschaft auf die Menschen an ihrem Rand, auf Menschen in Not gelenkt.

In Bethel erhielten schon bald nicht nur epilepsiekranke Menschen Hilfe, sondern auch die Opfer von sozialer Not und Massenarbeitslosigkeit. Als Bodelschwingh im Jahre 1872 an die Spitze der Einrichtung berufen wurde, wurden dort 150 epilepsiekranke Menschen betreut. Als er 1910 starb und sein Sohn Fritz die Leitung übernahm, zählte man rund 2.000 "Pfleglinge".

Als Bodelschwingh die Leitung in Bethel übernahm, hatte der aus wohlhabendem Hause stammende Bodelschwingh bereits reichlich Erfahrung mit Armut und Elend gesammelt. Nach seinem Theologiestudium war er für die "Evangelische Mission unter den Deutschen in Paris" als "Gassenkehrerpastor" in den Armenvierteln tätig gewesen. Als seine Frau Ida nach der Geburt des ersten Kindes krank wurde, zog die Familie Bodelschwingh zurück nach Deutschland, wo Friedrich zunächst eine Gemeindepfarrstelle im westfälischen Dellwig übernahm.

Der kurz aufeinander folgende Tod von vier seiner Kinder im Jahr 1869 wurde für ihn zum Schlüsselerlebnis. Da habe er bemerkt, "wie hart Gott gegen Menschen sein kann, und darüber bin ich barmherzig geworden gegen andere", notierte Bodelschwingh, der von der Frömmigkeit der christlichen Erweckungsbewegung stark geprägt war.

Von seiner Herkunft her war Bodelschwingh alles andere als ein Sozialrevolutionär. Der Sohn eines preußischen Ministers und Jugendfreund von Kaiser Friedrich III. war ein christlicher Monarchist, der sein Leben lang ein großer Bewunderer des Hauses Hohenzollern blieb.

In Bethel wirbt man heute denn auch für eine differenzierte Betrachtung des Namensgebers. Bereits zu Lebzeiten sei Bodelschwingh zu einer "Heiligengestalt" verklärt worden, schreibt der Historiker Schmuhl in der von Bethel geförderten Biografie. Zu den Ecken und Kanten seines Charakters gehörten auch "die geistige Enge seines Glaubens, ein Sendungsbewusstsein, das es ihm schwermachte, andere Meinungen gelten zu lassen" sowie "sein mild patriarchalischer, dennoch autoritärer Führungsstil".

Heute werde Bethel wesentlich demokratischer geleitet, versichert Bethel-Chef Pohl. Viele soziale Initiativen des alten Bodelschwinghs seien jedoch aktueller denn je. Zum Beispiel seine Praxis des "Förderns und Forderns". Bei Bodelschwingh hieß das lediglich anders: "Arbeit statt Almosen". (epd)