Gesammelte Erkenntnisse

EKD begleitet den Prozess der Annäherung und Kooperation beider Kirchen

19. März 2010

Axel Becker und Helmut Frenz (von links)

Pfarrer Helmut Frenz und Pfarrer Axel Becker erlebten am 11. September 1973 in Santiago de Chile den Putsch von General Pinochet. La Moneda – der Sitz des Präsidenten – stand in Flammen, Allende tot, die Bevölkerung verunsichert und gespalten. Die einen bejubelten die Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung, freien Handel und das Durchgreifen der staatlichen Kräfte. Die anderen befürchteten Repressionen, Willkürherrschaft der Militärs und Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Der Riss ging mitten durch die Gesellschaft und damit auch mitten durch die Kirchen und Gemeinden.

Die evangelisch-lutherische Kirche in Chile (IELCH – Iglesia evangelica luterana en Chile)war aus der Migration von Deutschen nach Chile im 19. Jahrhundert und nach dem ersten und nach dem zweiten Weltkrieg hervorgegangen. Gottesdienst und gemeindliches Leben waren sehr stark vom Deutschtum der Mitglieder geprägt. Dort trafen im September 1973 die Meinung aufeinander. Auf der einen Seite standen die, die sich nie mit den sozialistischen Anwandlungen eines Salvador Allende arrangiert hatten und auf der anderen Seite die, die im Putsch des Generals eine von den USA lancierte Übernahme Chiles in den Kreis der Partner sahen, die man sich für eigene Interessen gefügig machen konnte. Die Gruppe der Pinochet Befürworter war groß. Gleichzeitig suchten verfolgte Menschen bei den Kirchen Zuflucht. Frenz und seine Kollegen gründeten ökumenischen Hilfskomitees für die ausländischen Flüchtlinge und dann auch für die Chilenen, die von Verschwinden und Folter bedroht waren. Für die Pfarrer wurde es unmöglich, den Umbruch mit der frohen Botschaft in Einklang zu bringen. So verwehrten sie es ihren Gemeindegliedern, in der Kirche den Lobgesang auf die neue Regierung anzustimmen und Gott zu loben für eine neue Zeit, die nun anbrach.

Helmut Frenz, der zugleich das Bischofsamt der lutherischen Kirche in Chile innehatte, schonte seine Gemeinde nicht, als er ihr in seiner Predigt am 30. September sagte: Liebe Freunde, ... Ich weiß, wie den meisten von ihnen zumute ist. Wie Sie mit Freude erfüllt sind, weil Sie neue Hoffnung haben für Ihre Zukunft. Sie können sich jetzt wieder Ihre Zukunftschancen ausrechnen. Für viele von Ihnen scheint ein neuer Tag voller Sonnenschein anzubrechen. Doch muss ich Sie jetzt fragen: Wie können Sie sich so freuen, wenn gleichzeitig für hunderttausende von Chilenen alle Zukunftschancen, die sie sich ersehnten, verloren gegangen sind. Ich fürchte, ihr macht euch jetzt wieder falsche Sorgen, Sorgen um euch selbst, Sorgen um den eigenen Fortschritt, Sorgen um das eigene Wohlergehen, Sorgen um die eigene Zukunft. Dabei könnt ihr dann gar keine Sorgen um andere haben. Seht ihr denn wirklich nicht, dass ihr euch eine Zukunft bauen wollt auf den Trümmern und Tränen, auf Kosten der Hoffnungen und Sehnsüchte der Arbeiter?

Klare Worte bestimmten die nächsten Wochen und Monate, doch die Kluft zwischen Gegnern und Befürwortern des neuen Regimes ließ sich nicht überwinden. Auf der Synode der IELCH im November 1974 kam es zum Auszug eines Teils der Synodalen. Sie protestierten damit gegen die regimekritische Haltung ihres Bischofs und anderer Pfarrer der Kirche. 1975 gründeten sie eine unabhängige lutherische Kirche. Bis heute gehen diese aus dem „Kirchenkampf“ in Chile hervorgegangene ILCH www.iglesialuterana.cl und die IELCH www.ielch.cl getrennte Wege.

Die EKD begleitet seither den Prozess der Annäherung und zunehmenden Kooperation beider Kirchen. 2008 konnte in der gemeinsamen Kommission CILCH eine Erklärung verabschiedet werden, die den Willen zu Begegnung und Austausch unterstreicht. Ein konkretes Beispiel ist die Vereinbarung von gemeinsamen Standards in der Pfarrerausbildung, so dass in Zukunft an eine gewisse Durchlässigkeit in diesem Bereich gedacht werden kann.

Wie es zu der Spaltung kam geht aus den zahlreichen Dokumenten der Jahre 1973 bis 1975 hervor, die Helmut Frenz und Axel Becker jetzt an das Evangelische Zentralarchiv in Berlin übergeben haben. In Gemeindebriefen und Predigten, Zeitungsartikeln und Berichten ist festgehalten, wie die politischen und theologischen Fronten verliefen, die zur Kirchenspaltung von 1975 führten. Dieses Material ist damit nun für Forschungszwecke zugänglich. Axel Becker und Helmut Frenz hoffen, dass sich eines Tages jemand die Mühe machen wird, all die Ereignisse und Überlegungen dieser bewegenden Jahre in einer Veröffentlichung zur Darstellung zu bringen. Damit würde ein wichtiger Grundstein gelegt für die Einheit der lutherischen Christen in Chile.