Karibuni sana - herzlich willkommen!

Uwe Nissen arbeitet ehrenamtlich als Pfarrer für die deutschsprachige Evangelische Gemeinde in Nordtansania

01. März 2010

Unterricht in einer Schule in Moshi/Tansania

Davon träumen Pfarrer in Deutschland: Es ist Sonntag, und die Menschen strömen in die Kirchen. Festlich herausgeputzt, mit Bibel und Gesangbuch unter dem Arm, füllen tansanische Christen Sonntag für Sonntag die zahlreichen Gotteshäuser und feiern voller Freude ihre Gottesdienste, die sich meist über mehrere Stunden hinziehen. Sie machen den Sonntag wirklich zum Tag des Herrn. Für manche europäische Christen, die auf Zeit in Tansania leben, ist das ungewohnt, wenn im Gottesdienst oft mehrere Kollekten eingesammelt werden und jedes Mal die Geber in langer Prozession zum Altar ziehen, um ihre Gabe abzulegen. Das kann unendlich lange dauern, was aber niemanden stört. Für ­tansanische Christen gilt grundsätzlich: "Haraka, haraka haina baraka", was so viel bedeutet wie: Auf der Eile ruht kein Segen. Natürlich ist es mitreißend, wenn im Gottesdienst die Chöre gewaltig schmettern und ihrer Freude am Herrn bewegt Ausdruck geben. Es ist faszinierend, wenn sich Prediger stimmlich steigern und ihre Zuhörer begeistern. Aber vieles bleibt uns fremd. So, wenn Menschen plötzlich kollektiv in Zungen reden oder reihenweise vor dem Altar umfallen, weil sie wie in Trance - "vom Heiligen Geist bewegt" - sich nicht auf den Beinen halten können. In einer kleinen Kirche ganz in unserer Nähe, der Apostolic Church, schreien die Prediger die versammelte Gemeinde regelmäßig mit Verstärker an, und zwar zweisprachig. Ein amerikanischer Prediger wird fast synchron auf Kisuaheli übersetzt, mit unverminderter Lautstärke. Ob Pfarrer in Deutschland auch davon träumen?

Tansania ist wie viele afrikanische Länder ein tief gläubiges Land. Ob bei Christen oder Moslems, der Glaube an einen Gott ist fest verankert, Atheisten sind hier so gut wie unbekannt.

Wie fromm die Menschen in Tansania sind, sieht man auch an den Daladalas, den kleinen Minibussen, dem Hauptbeförderungsmittel auf kürzeren Strecken in Ostafrika. Ihr Name lässt sich vom einstigen Fahrpreis ableiten, früher kostete die normale Tour einen Dollar, auf Kisuaheli "Dala". Überall kann man sich solch ein Daladala am Straßenrand heranwinken, einen Platz gibt es immer. Die Busse mit offiziell zwölf Sitzen schaffen locker die doppelte Anzahl von Reisenden. Die Frage nach Sicherheitsgurten erübrigt sich, denn bei dieser Menge an Leuten wird man stets gut gehalten. Einige Male habe ich diese Art der Beförderung genossen, mit Hühnern unterm Sitz und einem fremden Baby auf dem Schoß.

Daladalas kommen allerdings nur auf ihre Kosten, wenn sie möglichst viele Menschen in möglichst kurzer Zeit bewegen. Entsprechend ist der Fahrstil. Die Bibelverse, mit denen die Busse bemalt sind, wirken daher ziemlich fatalistisch: "Der Herr ist mein Hirte", "Jesus liebt dich", "Gnade sei mit dir". Für Tansanier sind diese Sprüche ein tiefer Ausdruck ihres Gottvertrauens.

In diesem Umfeld lebt die deutschsprachige Gemeinde Nordtansania. Sie umfasst die Verkehrsachse zwischen den Städten Arusha und Moshi am Fuße des Berges Meru und des Kilimandscharos. Hier herrscht ein durchgehend mildes Klima mit tropischer Vegetation, und hier leben und arbeiten auch viele Deutschsprachige. Die meisten sind in Projekten einheimischer Kirchen tätig und gehören darüber hinaus einer einheimischen Gemeinde an, sind aber durchaus froh, immer mal wieder einen Gottesdienst in der vertrauten Muttersprache zu feiern. Dann kann man sich wenigstens darauf verlassen, dass bereits nach einer guten Stunde der Segen gesprochen wird.

Unsere Gemeinde hat weder eine eigene Kirche noch Gemeinderäume. Sie versammelt sich etwa alle fünf Wochen dort, wo Deutschsprachige leben und arbeiten: im Rehabilitationszentrum in Usa River, im evangelischen Frauenkloster in Moshi, bei einer Handwerkerschule in Hai, bei der internationalen Gemeinde in Arusha oder im Diakonieausbildungszentrum in Faraja. Zwischen 60 und 70 Gemeindemitglieder kommen und organisieren alles selbst: Musik, Kindergottesdienst, Essen und Altarschmuck.
In unserer Gemeinde sind alle ehrenamtlich tätig, auch ich als Pfarrer. Hauptamtlich bin ich Dozent an der kirchlichen Universität in Mwika, entsandt vom Nordelbischen Missionszentrum NMZ. Die deutschsprachige Gemeinde leite ich im Auftrag der EKD sozusagen "nebenbei".

Ein Höhepunkt im Kirchenjahr ist unsere Familienfreizeit im Advent. Etwa 70 Erwachsene und Kinder begeben sich dann aus den heißen Ebenen in die kühleren Regionen des schneebedeckten Kilimandscharos. Dort an den Hängen des "Kili" haben sich schon einst die Kolonialbeamten und Pioniermissionare erholt, zur Zeit der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika, welche die heutigen Länder Tansania, Burundi und Ruanda umfasste. Sie bestand von 1885 bis 1919 und war das größte deutsche Schutzgebiet in Übersee. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs entwickelte sie sich zur profitabelsten deutschen Kolonie. Überall sind noch Relikte aus der Kolonialzeit zu sehen: Eisenbahnen, Forts, Verwaltungsgebäude, Krankenhäuser. Wer heute einen evangelischen Gottesdienst besucht, der findet alle liturgischen Teile und viele Lieder wieder, die er aus Deutschland kennt - allerdings auf Kisuaheli. Die Lutheraner in Tansania halten gerne an Traditionen fest. Schließlich ist ihre Kirche erst gut 100 Jahre alt. Auch an die ersten Missionare erinnert man sich. Zum Beispiel an Bruno Gutmann, der sich bemühte, im Gebiet des Kilimandscharos die Vorstellungen der Einheimischen in das christliche Leben aufzunehmen.

In Tansania ist es unhöflich, ohne Gruß aneinander vorbei­zugehen. Wenn ich an der Universität Mwika von einem Hörsaal zum anderen gehe, darf ich etwa 20- bis 30-mal den Gruß ­"Salaam" erwidern, den Wunsch nach Frieden. Sehe ich jemanden nach der Vorlesung wieder, heißt es erneut: "Salaam." Manche behaupten zwar, das Land stagniere, weil man vor lauter Grüßen nicht mehr zum Arbeiten komme. Andererseits entstehen so Beziehungen. Ohne die ist man in Tansania, wo es fast keine soziale Absicherung gibt, verloren.

Solche Beziehungen entstehen auch im Gottesdienst, wo einem der Prediger immer wieder während seiner Ansprache die Worte "Bwana asifiwe" (Der Herr sei gepriesen!) zuruft und die Gemeinde antwortet: "Amen!" Ja, selbst in der Teepause im Lehrerzimmer der kirchlichen Universität Mwika kommt es vor, dass jemand aufsteht und sagt: "Bwana asifiwe!" Und alle antworten: "Amen." Selbst wenn danach nur mitgeteilt wird, dass in der nächsten Woche alle Studenten zur Feldarbeit eingeteilt sind oder ein Lehrer erkrankt ist. Dieses "Bwana asifiwe!" verbindet. So wie die halbstündige Morgenandacht an jedem Vorlesungsmorgen oder das Gebet am Ende jeder Vorlesung. Man dankt Gott für das gesunde Erwachen am Morgen, für die Vorlesung, für den Dozenten, für den Lernstoff und bittet, dass alles einem helfen möge, ein guter Christenmensch zu werden. Durch die unendliche Wiederholung solcher Worte und Gebete wächst in einem die Gewissheit, dass man wirklich im Namen Gottes versammelt ist.

Das spüren auch wir Weißen, die wir in Tansania Wazungu genannt werden: Menschen, "die immer in Bewegung sind". Uns, die wir hier auf Zeit leben, faszinieren nicht nur Serengeti, ­Ngorongoro-Krater und Kilimandscharo, sondern viele von uns schätzen diesen tiefen Glauben und bewundern die Überlebensfähigkeit der Menschen, die nur mühsam Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und ausreichenden Nahrungsmitteln haben. Tansanier lassen sich bei aller Widrigkeit der Lebensumstände ihre Würde nicht nehmen.

Und wenn Sie vorhaben, dieses Land zu besuchen, eine Safari zu unternehmen oder den Kilimandscharo zu besteigen, schauen Sie doch bei uns vorbei, bei der deutschsprachigen Gemeinde in Nordtansania! Karibuni sana - herzlich willkommen!