Das Risiko gehört dazu

Olympiapfarrer Thomas Weber über die Sicherheitsdiskussion in Vancouver

22. Februar 2010

Abfahrtslauf bei den Olympischen Spielen

Thomas Weber scheint ein Näschen für Sieger zu haben: War der evangelische Olympiapfarrer schon bei Magdalena Neuners Biathlon-Triumph am Dienstag live dabei, konnte er zwei Tage später auch die Goldmedaille von Skifahrerin Maria Riesch aus nächster Nähe bejubeln. "Sehr packend", sei der Kombinationswettbewerb in Whistler gewesen, berichtet der 49-Jährige, der gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen Hans-Gerd Schütt das deutsche Team bei den Winterspielen in Vancouver seelsorglich betreut.

"Wir haben wirklich schöne Tage", antwortet Weber auf die Frage nach der Stimmung in der Olympiastadt und im deutschen Team. In den Fußgängerzonen von Vancouver und Whistler, das 120 Kilometer entfernt in den Bergen liegt, sind überall Bühnen aufgebaut, Musikbands spielen, das Kulturprogramm zieht viele Neugierige an. Die Begeisterung bei Besuchern und Einheimischen ist groß, daran ändern auch vereinzelte Proteste gegen das Mammutunternehmen Olympia oder die Diskussion über die Sicherheit bei den alpinen Skirennen oder den Bob- und Rodelwettbewerben nichts.

Eines macht Weber hingegen nachdenklich: Der Erwartungsdruck auf die Sportler, erzählt er, sei immens – gerade durch die Medien. Als Magdalena Neuner im ersten Wettbewerb nur Silber holte, sei sofort gefragt worden, wo denn die eine Sekunde gefehlt habe. Und Maria Rieschs achter Platz in der Abfahrt sei zur Katastrophe stilisiert worden – ehe dann am nächsten Tag mit Gold alles wieder in Ordnung kam. "Man tut den Sportlern und Betreuern viel Unrecht", sagt der Olympiapfarrer auch mit Blick auf den vermeintlichen Krach zwischen Eiskunstlauftrainer Ingo Steuer und seinen Bronze-Schützlingen.

Auch die Sicherheitsdiskussion verfolgt Weber, der ständig mit Sportlern und Betreuern Kontakt hat, aufmerksam - und findet sie sehr wichtig, schließlich geht es um den Schutz der Athleten. Das Risiko "gehört zum Skigeschäft dazu", so der Geistliche, der auch einen Skeletonwettbewerb besuchte, bei dem sich die Teilnehmer den Kopf voran in die Bobbahn stürzen. Er höre oft von Respekt, aber selten von Angst. "Die Sportler setzen einiges aufs Spiel, aber das gehört dazu. Sie sind Ausnahmekönner."

Zugleich verweist Weber darauf, dass die alpinen Abfahrtsstrecken nachträglich entschärft worden sind. "Das große Problem bei der Frauenabfahrt bestand darin, dass zuvor nicht ausreichend auf der sehr anspruchsvollen Piste trainiert werden konnte und es deshalb zu zahlreichen Stürzen kam", erläutert der Olympiapfarrer. Unter den Betroffenen bei der Abfahrt am Mittwoch war auch die Schwedin Anja Pärson - glücklicherweise konnte sie jedoch bei der Kombination tags darauf wieder starten und errang prompt Bronze hinter Riesch und der US-Amerikanerin Julia Mancuso.

Ungeachtet dessen ist die Betroffenheit über den Tod des georgischen Rodlers Norad Kumaritaschwili, der kurz vor der Olympia-Eröffnungsfeier im Training verunglückte, nach wie vor groß. "Das war wirklich tragisch, eigentlich hatte er den Lauf schon hinter sich", berichtet Weber, der an der Strecke war und auch mit Freiwilligen sprach, die den Unfall miterleben mussten. "Sie sind sehr bedrückt." Fachleute halten die Bahn zwar für sehr schnell und schwierig, kritisieren jedoch genauso, dass nicht alle Starter genügend Erfahrung haben. Bei Kumaritaschwili gab es aber einen anderen Grund: Er war am unteren Bahnende gegen einen Stahlpfeiler geprallt – der ist mittlerweile abgedeckt, damit sich ein solches Unglück nicht wiederholt.

Der erste Todesfall in der olympischen Geschichte war auch eines der Themen der Andacht, zu der Weber und Schütt am Mittwochabend ins Religiöse Zentrum im Olympiadorf von Vancouver einluden. In einer "Auszeit im kleinen Kreis", so der evangelische Geistliche, reflektierten die Teilnehmer darüber, wie der christliche Glaube in Extremsituationen Halt bieten kann. Für Sonntag war ein ökumenischer Gottesdienst im Deutschen Haus vorgesehen – das Haus im Herzen Vancouvers bietet in diesen Tagen auch sonst ein buntes Programm an.
Die deutschen Geistlichen wollen bei den Olympischen Winterspielen nicht nur für die Sportler und Betreuer aus der Bundesrepublik da sein, die ihren christlichen Glauben mit nach Vancouver gebracht haben, sondern auch Ansprechpartner für alle, die eine spirituelle Ader haben, religiös suchend – oder einfach für einen Moment abschalten und den sportlichen Druck hinter sich lassen wollen. Da sind Menschen gefragt, die sich nicht aufdrängen, sondern Raum für Rückzüge bieten, Resonanz schaffen.

Nachdem die ersten Tage in Vancouver eher verregnet waren, was sich auch auf die Stimmung auswirkte, zeigt sich den Olympioniken zu Beginn der zweiten Woche viel öfter die Sonne. "Durch das Wetter sind die Menschen sehr ausgelassen", freut sich Weber. In Vancouver werden Temperaturen von elf oder zwölf Grad gemessen. Sogar Sandstrände gibt es in der Olympiastadt – die Fotos mit Bikinimodellen, die durch die Medien gingen, seien allerdings gestellt gewesen, hat der Geistliche beobachtet. "Frühlingshaft ist es noch nicht."