„Gott will im Dunkel wohnen“

Erinnerung und Hoffnung gibt neue Sichtweise auf Gegenwart frei

27. November 2009


Der Briefkasten zu Hause wird immer voller. Die Zahl der Briefe, die im Büro ankommen und keinen tatsächlichen geschäftlichen Inhalt haben, nehmen zu. Beides sind untrügliche Zeichen, dass es nur noch wenige Wochen bis Weihnachten sind. Die einen verfallen in fragendes Suchen, weil sie noch kein Weihnachtsgeschenk für die Lieben haben, die sie so gern beschenken möchten. Die anderen lassen abends auch einmal den Fernseher aus, zünden eine Kerze an. Bei Bratäpfeln und den ersten „Vorproben“ des Weihnachtsgebäcks lässt sich manches bereden, was das Jahr über liegen geblieben ist.

Wenn die Tage kürzer und die Nächte länger werden, genießen in Europa viele Menschen den Advent. Wer im Sommer die langen Tage und kurzen Nächte auf der Terrasse, dem Balkon oder im Biergarten genießen kann, sitzt im Winter bei Kerzenschein und Glühwein beisammen: Alles hat seine Zeit und der Advent ist die Zeit der Ruhe und der Besinnlichkeit. Das hat gute, wenn auch nicht uralte Tradition: Die Adventszeit als Vorbereitungszeit auf das Weihnachtsfest ist erst im 4. Jahrhundert entstanden Von Anfang an hatte die Adventszeit den Charakter der Bußzeit als Vorbereitung auf den "Geburtstag" des Messias.

Und wie es im christlichen Glauben häufig der Brauch ist: Menschen schauen zurück, um zu erkennen, was die Zukunft bringen wird. Wer sich während dieser vier Wochen an die Geburt Jesu erinnert, wie sie in der biblischen Tradition überliefert ist, denkt auch voraus auf die zukünftige Ankunft des Herrn als Herrscher dieser Welt . Daran erinnert besonders der zweite Adventssonntag: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht“. So ist die zweite Adventswoche überschrieben. Mit diesem Satz beschreibt Jesus seinen Jüngern, wie es sein wird, wenn der Menschensohn wiederkommt.

Es mag nicht überraschen, wenn zwischen der Erinnerung an das, was war, und der Hoffnung auf das, was kommt, die Gegenwart besonders bewusst wird. Manche fragen sich, wie die Gesellschaft sich gerechter gestalten ließe, so dass Menschen miteinander und nicht gegeneinander leben können. Wieder andere haben die große und weite Welt im Blick: Wie feiern die Menschen in den unzähligen Flüchtlingslagern unserer Welt Advent und Weihnachten?

„Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern“, heißt es im Adventslied von Jochen Klepper. Der christliche Dichter, der an der Brutalität seiner Zeit gescheitert ist, meinte damit kaum die nächtlichen Stunden der Adventszeit, sondern die dunkle Seite des Menschseins – ihm blieb die Hoffnung: „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt“. Das ist die Erfahrung, die Menschen erleben können, wenn sie an einem Abend in der Adventszeit die Kerzen am Adventskranz anzünden: Auch wenig Licht kann in den Herzen ganz schön hell machen und mancher der Briefe, die in diesen Tagen ankommen, schenkt neues Licht.