Ehrung in Emden

Martin-Luther Medaille verliehen

02. November 2009


Nebel schleiern über den Weiden, mildes Herbstlicht dämmert, und ab Augustfehn sind auch die Zugansagen auf plattdeutsch: In een paar minüden... Dann endlich Emden.

Hierher, in Deutschlands nordwestlichste Ecke, hatten der Rat der EKD und die evangelisch-reformierte Kirche geladen, um die Martin-Luther-Medaille an einen großen Deutschen zu überreichen: Richard von Weizsäcker, 89 Jahre alt und von 1984 bis 1994 Bundespräsident. In seiner Amtszeit fiel die Mauer und wurde die deutsche Einheit vollendet, davor aber war er über ein Jahrzehnt Mitglied im Rat der EKD, davor, 1965, Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Essen, dessen Präsidium er ebenfalls lange angehörte.

Von Weizsäcker, protokollarisch immer noch „Herr Bundespräsident“, reist ganz unprätentiös im Regionalexpress an. Am Bahnhof begrüßt ihn Kirchenpräsident Jann Schmidt, vor dem Gebäude stehen zwei Limousinen, um den zu Ehrenden ins Hotel zu fahren. „Kommt Otto?“ fragen sich einige Menschen vor dem Emder Bahnhof ob des für diese Verhältnisse auffälligen Menschenauflaufs. Erstaunen als von Weizsäcker auf den Vorplatz kommt.

Vor der Preisverleihung wird Gottesdienst gefeiert in der Neuen Kirche zu Emden. Kirchenpräsident Jann Schmidt predigt eindringlich über den 46. Psalm, jenen Psalm aus dem sich Martin Luthers berühmter Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ speist. Entgegen der Wirkungsgeschichte, so Schmidt, sei dieser berühmte Choral keinesfalls ein Lied, „das mit protestantisch geschwellter Brust zu singen wäre, kein christlich deutsches Trutzlied, - eher ein verzweifeltes Lied gegen die Angst.“ Dann erinnert Schmidt, der seit neusten auch dem Rat der EKD angehört, an die zahlreichen Flüchtlinge der Reformation, die in Emden Mitte des 16. Jahrhunderts Zuflucht fanden. Sie brauchten, so Schmidt, das Wort genauso wie das tägliche Brot: „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.“

Für heute sieht Jann Schmidt den Impuls der Reformation besonders in der ökumenischen Bewegung, in der immerwährenden Mahnung „dem Hunger in einer Welt des Überflusses zu wehren“. Er geht sogar noch weiter: „Ökumene ist der neue Name der Reformation. Dabei geht es oft ebenso unauffällig zu, wie seinerzeit bei Luthers Thesenanschlag. Vielleicht fehlen der heutigen Reformation die großen Persönlichkeiten. Vielleicht wird die Reformation getragen von der Basis, von der ökumenischen Zusammenarbeit von unten. Und das ist ein Zeichen der Hoffnung auf jene Reformation hin, an deren Ende ein neuer Himmel und eine neue Erde sein werden, in denen Gerechtigkeit wohnt.“

Nach dem Gottesdienst mit volltönendem Gesang zieht die Gemeinde auf einem viertelstündigen Gang durch die Emder Innenstadt weiter zur Johannes a Lasco Bibliothek, die einst auf den Trümmern der Großen Kirche in Emden erbaut wurde, welche im Herbst 1944 einen Luftangriff zum Opfer fiel. Heute ist die Bibliothek ein Raum, in den auf alte Mauern viel Glas gesetzt wurde. Seit der Fertigstellung 1995 ein besonderer Ort für Forschung und Wissenschaft und bestens geeignet für Veranstaltungen wie die Verleihung der Martin-Luther-Medaille.

Zu Beginn des Festaktes stellt Hermann Barth, Präsident des Kirchenamtes der EKD, dar, was für ein Glück es sei, dass sich der Rat der EKD  ganz zufällig vor Monaten bereits auf Margot Käßmann als Laudatorin verständigt habe. Dass Frau Käßmann nun in Personalunion als Landesbischöfin der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers wie als Vorsitzende des Rates der EKD gekommen sei, freut Barth und kommentiert: „Gabe der Prophetie? Treffsicheres Urteil? Weise Voraussicht? Das soll das Geheimnis des Rates bleiben. Wir können uns jedenfalls freuen, zu den ersten zu gehören, die erleben können, wie die neue Vorsitzende des Rates ihres Amtes waltet.“

Dann würdigte die neue EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann in einer warmherzigen Rede Richard von Weizsäcker als großen Protestanten, indem sie mit einer Erinnerung aus ihrer eigenen Zeit beim Kirchentag einstieg, als eine junge Frau nach einer Veranstaltung mit Richard von Weizsäcker gesagt habe: „Dass jemand mit so vielen weißen Haaren so cool sein kann (...). Wenn so einer sagt, dass wir uns als Christen in die Politik einmischen sollen, dann mache ich das auch!“. Käßmann fasste Weizsäckers Vorbildfunktion weiter so zusammen: „Ihre Bedeutung für uns alle ergibt sich aus ihrer inneren Haltung, aus der Klarheit ihrer Rede und aus einer Überzeugungskraft, die vom guten Argument lebt. Nüchternheit und Freimut, Wachheit und Bescheidenheit, das sind protestantische Tugenden, die Sie für nunmehr zwei Generationen, auch für mich, zum Vorbild haben werden lassen. Sie sind ein Zeitzeuge, dessen Ermahnungen nie schulmeisterlich sind, eine Leitfigur, die nicht wie ein Idol angehimmelt werden will, eher ein Lehrer, der zur Mündigkeit ermutigt.“

1965 war Richard von Weizsäcker Präsident des Evangelischen Kirchtages in Essen. Die Losung dieses Treffens „In Freiheit bestehen“, so Käßmann, könne wie ein Motto über dem Leben des Preisträgers stehen. „Wer ihre Reden und ihre autobiographischen Erinnerungen liest, wer Sie auf öffentlichen Podien und bei Gesprächen im kleinen Kreis erlebt, der könnte auf die Idee kommen, dass die große Freiheitsschrift von Martin Luther eine Blaupause für Ihr Leben ist.“ Aus ihrer Zeit als Generalsekretärin des Kirchentages, so Käßmann, erinnere sie sich gerne an von Weizsäcker: Damals habe sie sein „ruhiges und klares Urteilsvermögen“ schätzen gelernt. „Sie sind einer der Baumeister dieser großartigen Bewegung und haben sie mitgeprägt in einer Generation der Gründerväter gemeinsam mit Reinold von Thadden-Trieglaff, Klaus von Bismarck und vielen anderen. Damit haben sie beigetragen zum semper reformanda, der notwendigen ständigen Erneuerung der Kirche der Reformation“

Der 89-jährige Preisträger dankte sichtlich bewegt und erinnerte natürlich an die Ereignisse vor zwanzig Jahren, die zur deutschen Einheit führten und für die man gar nicht dankbar genug seien könne. Als besonderes Schmankerl hatte Richard von Weizsäcker aber auch noch eine ganz besondere ökumenische Episode vom Kirchentag 1965 parat. Damals habe Kardinal Frings im Kölner Dom eine Bibelarbeit gehalten. Im Nachgang dazu wären sich „Martin Niemöller und Konrad Adenauer doch tatsächlich um den Hals gefallen.“