„Father forgive“ – Friedensgottesdienst aus Coventry

Live-Hörfunkübertragung auf NDR Info, WDR 5 und rbb

09. Oktober 2009


„Guten Morgen, liebe Hörerin, lieber Hörer“ – wenn Radiopastor Jan von Lingen im Radiogottesdienst  am nächsten Sonntag die Einführung spricht, kommen diese Worte von einem besonderen Ort: Die „Evangelische Radiokirche“ sendet am 18.Oktober ab 10 Uhr einen „Friedensgottesdienst“, der auf NDR Info, WDR 5 sowie rbb live aus der Kathedrale in Coventry in England ausgestrahlt wird.

Die neue Kathedrale steht direkt neben den Ruinen der gotischen Kathedrale, die im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen zerstört wurde.  Am 13. und 14. November 1940 warfen deutsche Flugzeuge Bomben auf die Stadt Coventry ab. Rund 600 Menschen starben. Die mittelalterliche Kathedrale wurde schwer getroffen und ging in Flammen auf. In den Trümmern finden sich später drei große Zimmermannsnägel aus den Dachbalken. Zusammengefügt bilden sie mitten im Krieg das neue Kreuz für die Gemeinde: Das „Nagelkreuz“ von Coventry. Unter diesem einfachen Altarkreuz aus großen Nägeln versammelt sich die Gemeinde und betet für den Frieden. Noch mitten im Krieg ließ der damalige Propst die Worte „Father forgive“ („Vater, vergib“) in die Chorwand einmeißeln.

Im Laufe der Jahre wurde die Ruine der alten Kathedrale zu einer Gedenkstätte. Und seit fast 50 Jahren versammelt sich dort an jedem Freitag eine kleine Gemeinde und spricht ein Versöhnungsgebet. Nachbildungen des Nagelkreuzes sowie das Friedensgebet der Gemeinde mit dem Titel „Father forgive“ wurden nach Ende des Zweiten Weltkriegs Brücken der Versöhnung zwischen den Völkern. In rund 160 Kirchengemeinden weltweit befinden sich heute Nagelkreuze und mahnen zum Frieden. Zahlreiche Städtepartnerschaften verbinden Coventry mit Städten, die unter Kriegen besonders gelitten haben, darunter auch Dresden.

70 Jahre nach Kriegsbeginn predigen in dem weitgehend deutschsprachigen Radiogottesdienst am 18. Oktober der Pastor der deutschen Auslandsgemeinde in Birmingham, Peter Büttner, sowie Canon Adrian Daffern von der Kathedrale in Coventry. Außerdem wird Harold Nash seine Geschichte erzählen: Er lebt in England und ist heute weit über 80. Damals war er gerade Anfang zwanzig. Harold Nash war der Navigator in einem britischen Bomber. Gerade hatte er seine todbringende Last über Hannover abgeladen. Das Flugzeug ist am 27. September 1943 auf dem Weg zurück nach England. Plötzlich: Einschüsse. Harold Nash sitzt im hinteren Teil der Maschine. Sein 13. Einsatz. Ein letzter Blick auf den Piloten, dann der Sprung mit dem Fallschirm ins Ungewisse aus der abstürzenden Maschine. Er landet bei Celle, schlägt sich vier Nächte lang durch, wird schließlich bei Bielefeld gefangen genommen. Im Zug geht es weiter nach Frankfurt. Zusammen mit seinem Bewacher sitzt er in einem Abteil mit drei Frauen in Trauerkleidung. Er ist abgerissen, ungewaschen. An seiner Uniform ist er eindeutig als Mitglied einer britischen Bomberbesatzung zu erkennen. Die Frauen tuscheln. Er hat Angst. Sie fahren durch eine Gegend, die offensichtlich in der letzten Nacht von seinen englischen Kameraden bombardiert worden ist. Plötzlich greift eine der Frauen in ihre Tasche, holt ein Stück Brot heraus und bietet es ihm an, zu seiner Überraschung. „Sie haben in mir plötzlich den Sohn einer Mutter gesehen, das hat mein Leben verändert“, sagt Harold Nash heute. Er verbrachte danach über zwei Jahre in einem Kriegsgefangenenlager in Litauen. Nach dem Krieg wird er Dolmetscher und Lehrer für Französisch und für Deutsch.

Einige Zeit später hörte er in seiner Kirche einen Satz von Jesus: „Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch an.“ Ihm fiel die Geschichte von den Frauen wieder ein – und er wurde Pazifist, also Kriegsgegner. „Damit wir niemals vergessen“ ist seine Losung. „Man darf die deutschen Gräueltaten in den Konzentrationslagern nicht vergessen. Wir mussten Deutschland angreifen“, sagt Harold Nash. „Aber wie dies geschah, war ein Verbrechen. Ich weiß nicht, wie viele Menschen ich mit meinen Bomben getötet habe. Ich weiß heute nur, dass kein einziger Tod ein einziges Problem gelöst hat.“ Und der frühere Soldat und überzeugte Christ fügt hinzu: „Ich kann nicht vergessen, was ich getan habe. Nur Gott kann mir vergeben.“

Für die musikalische Gestaltung des Gottesdienst sorgen der Chamber Choir der Kathedrale mit englischen Liturgiestücken und Chorälen sowie Organist Alistair Reid.

Weitere Informationen auf den Seiten der NDR-Radiokirche

Evangelische Gemeinden deutscher Sprache in Birmingham, Coventry, Derby, Leicester, Lincoln und Nottingham

Offizielle Webpräsenz der Kathedrale von Coventry