Nordkorea - ein bizarres Land

Was ist Wirklichkeit, was ist Inszenierung?

21. September 2009


Manchmal ist es gut, wenn man von der Autobahn abkommt. Dann sieht man mehr als man sehen soll. Zum Beispiel im abgeschotteten Nordkorea. Halt! Sperrung, wahrscheinlich wegen Bauarbeiten. Der Kleinbus mit der Delegation der EKD verlässt außerplanmäßig die Autobahn, und ab geht’s durch die Dörfer. Die Gäste aus Deutschland erleben eine Art von Wirklichkeit, die ihnen Ihre Gastgeber bisher vorenthalten hatten: Liegengebliebene Landmaschinen, Traktoren, ärmlich Dörfer, schlecht ernährte Menschen zu Fuß, auf dem Fahrrad oder auf Ochsenkarren.

Bilder, die sehr von dem abweichen, was in Pjöngjang selbst zu sehen ist: Eine saubere Bäckerei des Koreanischen Christenbundes (KCF), die extra am Sonntag für die Gäste aus Deutschland duftende Weißbrotkugeln aus dem Ofen zaubert. Eine bunt gekleidete Gottesdienstgemeinde in der Bongsukirche in Pjöngjang, die inbrünstig singt und ein Blick von der 170 Meter hohen Juche-Säule auf die Stadt am Fluss im milden Abendlicht.

Die Gruppe ist unterwegs von Pjöngjang, der Hauptstadt Nordkoreas, an einen der bizarrsten Orte, den Menschen auf dieser Welt geschaffen haben: Panmunjon, jenen Ort an der Waffenstillstandslinie zwischen Nord- und Südkorea, an dem sich die Soldaten beider Seiten Aug in Aug gegenüberstehen, an dem die Grenze sogar quer durch einige Baracken verläuft. An der sogenannten „Demilitarisierten Zone“ angekommen, empfängt die Deutschen ein freundlicher Offizier, der mit gefühlvoller Stimme vom Koreakrieg erzählt und dem Leid, was dem koreanischen Volk widerfahren ist. Dann geht es hinein in die Sperrzone, die auf je zwei Kilometer Breite in Nordkorea wie in Südkorea das Land zerteilt. Es wirkt alles sehr locker. Ja, natürlich, man dürfe fotografieren, alles kein Problem.

Besichtigt wird die Baracke, in der im Juli 1953 der Waffenstillstand ausgehandelt und unterzeichnet wurde, der dem grauenhaften Morden des in Europa heute fast vergessenen Koreakrieges ein Ende machte. Sechs Millionen Menschen starben, Korea war ein Trümmerfeld – und ist es untergründig immer noch. Die Erinnerung an den Krieg, der zehn Millionen Menschen von Ihren Verwandten dauerhaft trennte, liegt wie eine schwere Last auf der Halbinsel. Alle Versuche einen dauerhaften Frieden anstelle des nun seit 56 Jahren währenden Waffenstillstandes zu schaffen, sind gescheitert.

Die Gruppe geht hinunter an die Demarkationslinie, an der regungslos nordkoreanische Soldaten aufgepflanzt sind. Auf der Gegenseite ist niemand. Keine US-Soldaten, kein Südkoreaner ist zu sehen. Aber ein großes Gebäude mit den elektronischen Augen zahlreicher Kameras fängt jede Szene ein. Man tritt ein in die berühmte Baracke, in der durch die Mitte des Tisches die Grenze verläuft. In diesem kleinen, abgeschlossenen Raum kann man die undurchlässigste Grenze der Welt nach Belieben überschreiten. Immer und immer wieder. Eine bizarre Welt!

Wenige Tage später kommt die Gruppe aus Deutschland wieder an diesen Ort, diesmal von Süden her. Derselbe Ort, aber alles ist ganz anders. Die Autobahn vom knapp 50 Kilometer entfernten Seoul, der Hauptstadt Südkoreas, ist tadellos. Stacheldraht ist zu sehen und viele Wachposten. Die Angst vor einer Invasion aus dem Norden - sie ist mit Händen zu greifen. Die Gruppe bekommt einen jungen US-Offizier zugeteilt, der die Führung übernimmt. Smart, lächelnd, humorvoll. Als die Gruppe von Süden in die Nähe der Waffenstillstandslinie bei den Baracken kommt, stehen südkoreanische Soldaten mit MPs und Sonnenbrillen breitbeinig-martialisch an der Linie. Dagegen sind diesmal nur zwei Nordkoreaner unten zu sehen. Alles nur eine Inszenierung für die Besucher?

Wenig später bekommt die Gruppe dann einen Tunnel gezeigt, der 1978 entdeckt wurde. Mit diesem Tunnel, so der südkoreanische Offizier, der hier die Führung übernimmt, hätte Nordkorea die Invasion des Südens vorbereitet. Der Tunnel sollte die 50 Kilometer bis Seoul geführt werden, aber wenige hundert Meter hinter der Grenze wurde er entdeckt. Aufwändig wurde ein Stichtunnel gegraben, durch den heute die Besucher mit einem kleinen Zug in die Erde fahren können, um den Tunnel zu besichtigen. Eine Art Geisterbahn. Wie im Bergwerk müssen Helme aufgesetzt werden, da der Tunnel meist nur 1,60 Meter hoch ist. Die Plastikhelme sind blau, unvermittelt wird aus dem Ausflug eine skurrile Blauhelmmission. Auf dem Rückweg möchte der Südkoreaner einen Witz machen. Er dankt den Nordkoreanern, dass sie den Tunnel gebaut hätten, sonst gäbe es heute hier nicht so viele Touristen. Die Grenze zwischen Nord- und Südkorea trägt in Panmunjon Züge eines merkwürdigen Disneylands.

Was ist Wirklichkeit, was ist Inszenierung? Diese Fragen stellten sich den Reisenden häufig. Besonders im Norden: Ist der freundliche Gottesdienst in der Bongsu-Kirche zu Pjöngjang ein Zeichen dafür, dass zumindest im bescheidenen Umfang christlich-kirchliches Leben auch in Nordkorea möglich ist? Oder deutet das Fehlen des Vater-Unser-Gebetes und eines Glaubensbekenntnisses in diesem Gottesdienst darauf hin, dass hier eine staatlich geförderte Religionsfreiheitsshow abläuft? Gibt es wirklich christliches Leben in Nordkorea, das diesen Namen verdient? Gibt es gar im Untergrund eine größere Anzahl von Christen, die geheim, wie einst die ersten Christen im Römischen Reich, in Katakomben und Berghöhlen ihren Glauben leben? Immer wieder wird dies behauptet, allein, es fehlen greifbare Fakten und Beweise.

Manchmal bringt man von einer Reise nicht nur viele Antworten und Erkenntnisse, sondern auch viele Fragen und Zweifel mit. Unzweifelhaft aber ist, dass Nordkorea die Hilfe der Weltgemeinschaft braucht. Und so müssen Zeichen der Versöhnung und tatkräftige Hilfe über die Brücken gehen, die es gibt, auch wenn einem deren Pfeiler nicht ganz geheuer erscheinen.