Auf den Spuren des Paulus

Heidemarie Wünsch betreute bis Sommer 2009 mit ihrem Mann die evangelisch-ökumenische Andreas-Gemeinde, Malta

07. August 2009


"Wir haben schon den ersten Gestrandeten, den wir namentlich kennen, nicht sofort freundlich auf Malta willkommen geheißen." Der das sagt, ist Leiter des Kulturzentrums St. James in Valletta, der Hauptstadt Maltas, und er meint den Apostel Paulus, der sich - des Aufruhrs bezichtigt, gefangen gesetzt und nun auf dem Weg zu seinem Gerichtsverfahren in Rom - nach einem Schiffbruch im Norden der Insel an Land rettete. Freundlich willkommen? Das sind auch die heutigen Gestrandeten nicht, die Bootsflüchtlinge aus Afrika, deren wachsende Zahl die kleine Inselrepublik nicht allein bewältigen kann. Sie verbringen manchmal Monate in geschlossenen Lagern in Malta, bis festgestellt ist, ob sie aus einem sogenannten Krisengebiet kommen. Wenn nicht, werden sie zurückgeschickt.

Für besonders Schutzbedürftige unterhalten Staat und Kirche Häuser wie das Good Shepherd Home (auf Deutsch: "Haus zum Guten Hirten"). Die meisten illegal eingereisten Afrikaner aber bleiben im Lager im Industriegebiet. Zwar dürfen sie eine Arbeit annehmen und ihre Kinder die Schule besuchen. Ansonsten ist ihre einzige Abwechslung aber der Einkauf beim Brot- und Gemüseauto. Meistens stehen viele Zuwanderer an der Straße herum, gut sichtbar für die Beschäftigten auf dem Weg zur Arbeit und für die Touristen, die mit ihren Kindern die Firma Playmobil besuchen und deren Erlebnispark, wo die Kleinen mit Tausenden Playmobilfiguren spielen dürfen.

Was Malteser über die Zuwanderer denken, ist in den Zeitungen zu lesen, vor allem in den Leserbriefen zum Thema. Die einen schreiben sinngemäß: "Schickt sie dorthin zurück, woher sie kommen", andere: "Bringt sie wenigstens in menschenwürdige Unterkünfte." Ähnlich gegensätzlich kommentieren auch die Journalisten selbst. Ausgrenzen oder integrieren - wie soll Malta mit den Armuts- und Kriegsflüchtlingen umgehen? Das bleibt ein politisch brisantes Thema.

Paulus' Schiffbruch vor Malta auf dem Weg nach Rom (Apostelgeschichte 27 und 28) ist für die Malteser ein identitätsstiftendes geschichtliches Ereignis. Da der Papst für 2008/2009 in Erinnerung an die Geburt des Apostels vor 2000 Jahren ein Paulus-Jahr ausgerufen hatte, feierten die Malteser den Paulus diesmal noch mehr, als sie es in anderen Jahren ohnehin tun.

Am 10. Februar ist der alljährliche Gedenktag dieses Schiffbruchs und damit das jährliche Patronatsfest in der katholischen St. Paul's Shipwreck Church, Valletta. Um die Zeit war es dieses Jahr noch recht kühl. Über die Straßen Vallettas, durch die die Prozessionen führten, waren Girlanden und Spruchbänder gehängt. Überlebensgroße Heiligenfiguren säumten den Weg. Die Kirche war innen mit roten Damasttüchern behängt und außen mit farbigen Glühlampen geschmückt. Höhepunkt der Festwoche: die Messe am Sonntag. Danach trugen zehn Männer eine schwere Paulus-Statue durch die von Menschen gesäumten geschmückten Straßen, gefolgt von zahlreichen Geistlichen und begleitet von der Band - einem Mittelding zwischen Posaunenchor und Spielmannszug. Die Prozession dauerte einige Stunden. Weil die Statue so schwer ist, wurden oft Pausen eingelegt.

Die zweite große Prozession am Vorabend ohne Paulus-Statue hatte mit einem grandiosen Feuerwerk über dem Großen Hafen von Valletta geendet. In der Mitte eines Feuerwerkrades erschien dabei das Bild des Pauluskopfes, umgeben von einem funkensprühenden Heiligenschein. Ähnlich zelebriert jede Kirchengemeinde auf Malta ihre Ortsheiligen, so dass von April bis September immer irgendwo "Festa" ist. Deutsche, die hier dauerhaft wohnen, meiden sie allerdings nach Möglichkeit und besuchen Verwandte oder Freunde am anderen Ende der knapp 30 Kilometer langen Insel.

In diesem Jahr haben auch wir Protestanten Paulus gefeiert - auf nüchterne, mitteleuropäische Weise, zusammen mit den deutschsprachigen Katholiken von St. Barbara: Mit einer Gesprächsreihe "Paulus heute" an vier Abenden im April im Wohnzimmer der Villa Joseph. So heißt das zugleich repräsentative und doch einfache Pfarrhaus in Rabat, dessen große Küche auch Gemeinderaum ist. Es hat einen wundervollen mediterranen Garten. Vom Flachdach reicht der Blick fast über die ganze Insel.

Zum Abschluss des Seminars unternahmen wir eine Bootsfahrt zu den Paulusinseln, versammelten uns unter seiner Statue zum Picknick. Manche Historiker haben allerdings Zweifel daran, dass Paulus tatsächlich hier, ja dass er überhaupt auf Malta gestrandet ist. Wo und ob das der Fall war, interessiert weniger unsere Gemeindemitglieder als vielmehr die Touristen. Viele von ihnen sind auf den Spuren des Paulus unterwegs - und besuchen dabei auch unsere Gemeinde.

Mit rund 98 Prozent Katholiken ist Malta das katholischste Land Europas. Wegen seiner fast zweihundertjährigen Verbundenheit mit England gibt es hier zwei protestantische Kirchen, die anglikanische und die schottische. Unsere Andreas-Gemeinde ist - wie der Name schon andeutet - mit der St. Andrew's Scots Church assoziiert. Ab 1989 hatte sich unter anderen deren Pfarrer für die  Gründung eingesetzt und einen Raum in Valletta für ­unsere Kapelle zur Verfügung gestellt. Als wir im Mai den kleinen Sohn einer Schweizerin und eines Maltesers tauften, trugen wir dies ins Kirchenbuch von St. Andrew's ein.

Ich bin die vierte Pfarrerin seit Gründung unserer Gemeinde. Als 1992 die erste Pfarrerin auf die Insel kam, wurde sie vom ­damaligen Botschafter als "erste Priesterin nach 5000 Jahren" ­begrüßt - auf Malta gibt es uralte, vermutlich matriarchale Kultstätten. Sein Nachfolger erzählte mir von der erstaunten Frage einer maltesischen Journalistin, der ein Pfarrehepaar vorgestellt worden war: "Zwei Pfarrer - die miteinander schlafen?" - "Da sie verheiratet sind, sollten sie", antwortete der Diplomat.

Die meisten Mitglieder der Mutter-Kind-Gruppe sind deutsch-maltesische Familien. Auch Botschaftsangehörige und Geschäftsleute kommen mit ihren Familien zu uns in die Villa Joseph. Ruheständler stoßen dazu, die in arabischen oder nordafrikanischen Ländern tätig gewesen waren und Malta nun als den perfekten Aufenthaltsort zwischen den Kulturen loben: arabisches Flair, englische Sprache und viel Sonne. Nicht wenige von ihnen haben einen weiteren Wohnsitz in Deutschland.

Die maltesische Sprache ist wie Arabisch eine semitische Sprache, geschrieben mit lateinischen Buchstaben. Für maltesische Christen ist es ganz selbstverständlich, Gott mit "Alla" (ohne h) anzusprechen. Bei einer Festveranstaltung erlebten mein Mann und ich, wie sich der Imam der einzigen Moschee, der Ökumenebeauftragte des Erzbischofs und ein äthiopisch-ägyptischer Priester trotz ihrer unterschiedlichen Sprache problemlos miteinander unterhielten. Nur mit uns mussten sie englisch sprechen. Wo in Deutschland gehört der Imam selbstverständlich und geachtet zu den Ehrengästen einer öffentlichen Veranstaltung? Als wir das den Ökumenefachmann der katholischen Kirche fragten, meinte er mit Blick auf Paulus und auf die zahlreichen Eroberer in der Geschichte der Insel: "Auf Malta haben wir schon immer Gestrandete ihren Glauben verkündigen lassen."

Wer erreicht heute die Insel? Die meisten der Afrikaner, die mit Booten über das Meer kamen, sind Muslime - aber eben nicht alle. Es wandern auch koptische Christen ein. Seit einem halben Jahr gibt es deshalb einen koptischen Priester aus Ägypten, nicht zuletzt für die Flüchtlinge aus Eritrea und Somalia.

Malta könnte eine wichtige Rolle dabei übernehmen, zwischen den Kulturen, Sprachen und Religionen zu vermitteln. Vielfalt hat dieses Land schon immer bestimmt.