"Kommt die Leber oder kommt der Tod?"

In Deutschland warten 12.000 Menschen auf lebensrettende Organe

05. Juni 2009


Sven Treckmann wartete 18 Monate lang auf ein neues Herz - vergeblich. Er starb im Januar 2008. Für den Familienvater mit dem Herzfehler konnte nicht rechtzeitig ein Spenderorgan gefunden werden. Sein Schicksal zwischen Hoffen und Bangen teilen bundesweit 12.000 Patienten. Jährlich sterben rund 1.000 von ihnen, weil nicht rechtzeitig ein rettendes Herz, eine Lunge, Leber oder Niere bereitstehen. Fachleuten zufolge fehlt es nicht nur an Spendern, auch die Abläufe bei den Organspenden stehen in der Kritik.

Peter Hellriegel aus Bruchsal lebt mit einer transplantierten Leber. Die zermürbende Wartezeit bis zur erfolgreichen Operation hat er nicht vergessen: "Morgens wusste ich nicht, kommt die Leber oder kommt der Tod." Heute engagiert er sich selbst für mehr Transplantationen, etwa beim bundesweiten "Tag der Organspende", der am 6. Juni stattfindet. Es sei wichtig, "dass sich mehr Menschen zum Thema Organspende Gedanken machen" und sich anschließend einen Ausweis besorgten.

Zwar sind nach einer aktuellen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 67 Prozent der Befragten grundsätzlich damit einverstanden, dass man ihnen nach dem Tod Organe und Gewebe entnimmt, doch nur 17 Prozent haben einen Organspendeausweis. Allen Kampagnen und Aktionstagen zum Trotz stieg die Zahl potenzieller Spender seit Jahren aus Sicht der Experten viel zu langsam.

2008 gingen die Organspenden gegenüber dem Vorjahr um neun Prozent zurück. Lag nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) der Wert im Jahr 2007 bei 1.313 Spenden, so nahm er im Jahr darauf um 115 auf 1.198 ab. Weil im Schnitt jedoch pro Spender drei Patienten von den entnommenen Organen profitieren, konnte im Jahr 2007 insgesamt 4.140 Menschen geholfen werden. Ein Jahr danach sank die Zahl auf 3.945.

Außer der Region Nordrhein-Westfalen, die entgegen des Trends einen Zuwachs von acht Prozent verzeichnete, gingen die Organspendezahlen überall zurück oder stagnierten. Die Region Mitte (Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland) verbuchte den größten Einbruch mit Hessen als Schlusslicht. Dort kamen 8,7 Spenden auf eine Million Einwohner. Zum Vergleich: Der Bundesdurchschnitt lag 2008 bei 15,3 Spenden. Inzwischen zeigt sich die DSO wieder vorsichtig optimistisch: Im ersten Quartal 2009 bewegten sich die Zahlen wieder leicht nach oben.

Experten rätseln schon länger, wie sich mehr Menschen zum Spenden bewegen lassen. Eine interne Studie aus Hessen, die die DSO Region Mitte in Auftrag gab, bestätigt, dass "die Organspende in Deutschland an erheblichen strukturellen Defiziten leidet". Die Situation sei durch die "restriktive finanzielle Ausstattung der Kliniken" noch verschärft worden, urteilt der Mainzer Transplantationschirurg Gerd Otto als Mitautor der Untersuchung. Die Bemühungen der DSO, die nur auf Abruf tätig wird, die Krankenhäuser zu mehr Meldungen potenzieller Organspender zu bringen, seien erfolglos gewesen.

Thomas Beck, kaufmännischer Vorstand der DSO, fordert fest angestellte Koordinatoren in deutschen Kliniken mit Intensivstationen, um mehr Organspender identifizieren zu können. Anders als etwa in Spanien, wo dieses System Erfolg habe, gebe es in deutschen Krankenhäusern oft nur Transplantationsbeauftragte, die ihre Aufgabe zusätzlich zu ihrer normalen ärztlichen Tätigkeit ausübten, sagte er dem epd. Ziel sei, "die deutschen Strukturen an die bewährten spanischen Verhältnisse anzupassen".

Um die Zahl der Spender massiv zu erhöhen, müsse das Transplantationsgesetz geändert werden, fordern andere Experten. In Deutschland verhindere die "Erweiterte Zustimmungsregelung", dass mehr Transplantate zur Verfügung stehen. Hierzulande dürfen nach dem Hirntod, den unabhängig von einander zwei Ärzte feststellen müssen, nur dann Organe entnommen werden, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten zugestimmt hat. Anders ist die Rechtslage in elf europäischen Nachbarländern. Dort gelten unterschiedliche Varianten einer "Widerspruchsregelung": Jeder wird mit seiner Geburt potenzieller Organspender. Wenn der Verstorbene nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen hat, dürfen Mediziner Organe transplantieren. Auch Spanien, das EU-Land mit der höchsten Spenderquote, verfährt so.

Beck bezweifelt die Vorteile einer solchen Rechtsnovelle. Sie sei "ganz sicher kein Allheilmittel". Für den Moment sei es deshalb besser, das bestehende System zu optimieren anstatt "die große und zeitaufwendige Lösung anzustreben und somit das Transplantationsgesetz auf den Kopf zu stellen", sagt der DSO-Vorstand.

Angelika Breuer hatte Glück. Sie musste nur drei Monate auf ein Spenderherz warten. 1992, nach der Geburt ihrer Tochter Julia, erkrankte sie an einer Herzmuskelschwäche. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich rasant, sie litt an Atemnot und wurde so schwach, dass sie kaum noch sitzen konnte: "Ich fühlte mich wie lebendig begraben und hatte Angst, nie mehr frische Luft atmen zu können." Angelika Breuer ist noch immer unendlich dankbar, "eine zweite Chance" bekommen zu haben: "Das waren 15 geschenkte Jahre." (epd)

Deutsche Stiftung Organtransplantation

Initiative „Fürs Leben – für Organspende“