Ein Zuhause für alle

"Woche für das Leben" wird in Lüneburger Gemeinde mit vorbildlicher Behindertenarbeit eröffnet

24. April 2009


Die bundesweite "Woche für das Leben" ist eine Initiative der EKD und der Bischofskonferenz. Die Kirchen wollen damit auf den Wert und die Würde des menschlichen Lebens aufmerksam machen. Mit der Aktion soll die Gesellschaft für den Schutz des Lebens in allen Phasen von der Zeugung bis zum Tod sensibilisiert werden. Sie wird in diesem Jahr unter dem Motto "Gemeinsam mit Grenzen leben" am Samstag mit einem ökumenischen Gottesdienst in Lüneburg eröffnet und dauert bis zum 2. Mai.

Lüneburg wurde unter anderem wegen der vorbildlichen Behindertenarbeit des evangelischen Kirchenkreises als Eröffnungsort ausgewählt. Schon 1976 begann diese Arbeit in der St.-Nicolai-Gemeinde mit einem eigenen Konfirmandenunterricht für Jugendliche mit geistiger Behinderung:

Elke Bode schlägt eine Klangschale an. "Jesus Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt", sagt die Diakonin und zündet eine Altarkerze an. Die Konfirmanden reichen das Feuerzeug weiter und bringen Teelichter zum Brennen. "Ihr seid das Licht der Welt", sprechen sie sich zu. Im Konfirmandenunterricht für Jugendliche mit geistiger Behinderung in der evangelischen St.-Nicolai-Gemeinde Lüneburg hat das Ritual Tradition.

Aus der ersten Gruppe, die vor mehr als 30 Jahren konfirmiert wurde, entwickelte sich an St. Nicolai eine Behindertenarbeit für den ganzen Kirchenkreis. Heute treffen sich im Gemeindehaus jede Woche fünf Gruppen mit bis zu 100 Jugendlichen und Erwachsenen mit und ohne Behinderungen. Weil diese Arbeit Beispielcharakter hat, eröffnen der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, und der Hildesheimer katholische Bischof Norbert Trelle am Samstag in St. Nicolai die bundesweite "Woche für das Leben". Die Initiative setzt sich für die Akzeptanz von kranken und behinderten Menschen ein und steht unter dem Motto "Gemeinsam - mit Grenzen leben".

In dem Gottesdienst will die Behindertenarbeit ein Schattenspiel aufführen. Die Theaterstücke, bei denen die Darsteller hinter einem Leinentuch agieren und das Publikum nur ihren Umriss sieht, sind bei den Konfirmationen ein Klassiker. "Da kann jeder mitmachen, auch wer nicht sprechen kann oder im Rollstuhl sitzt", sagte Elke Bode. In St. Nicolai gehörten Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen selbstverständlich dazu. "Konfirmiert werden Jugendliche mit Tourette-Syndrom, Lernbehinderungen, Down-Syndrom oder Autismus, es gibt kein Ausschluss-Kriterium." Die Gemeinde sei längst gewöhnt, dass im Gottesdienst mal jemand unerwartet auflacht.

Von dieser Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander war noch wenig zu spüren, als die Arbeit in den 70er Jahren begann. Erst allmählich griffen gesellschaftliche Reformbewegungen. Es entstanden Kindertagesstätten, Schulen und Werkstätten, die behinderten Menschen an ihrem Wohnort auf sie zugeschnittene Möglichkeiten boten. "Damals wurde manchen Eltern gesagt, ein geistig behindertes Kind konfirmieren wir nicht", sagt Ulrich Beuker, der als erster Hauptamtlicher die kirchliche Behindertenarbeit leitete. Eine Mutter habe das nicht akzeptiert und gemeinsam mit einer Ehrenamtlichen und dem damaligen Gemeindepastor die Konfi-Stunden an St. Nicolai initiiert.

Mittlerweile unterrichten viele Kirchengemeinden Jugendliche mit und ohne Behinderungen in integrativen Gruppen. "Das begrüßen wir, und wir unterstützen die Kollegen dabei", unterstreicht Beuker. Auch die Gruppen an St. Nicolai setzen auf Begegnung und fahren etwa mit anderen Konfirmanden gemeinsam auf Freizeiten. Kerstin Löper war früher selbst Konfirmandin in der Gruppe der Menschen mit Behinderungen, seit sieben Jahren hilft sie den Hauptamtlichen im Unterricht: "Das macht Spaß, und man lernt immer noch etwas dazu", sagt sie.

Ein Team von Ehrenamtlichen und Praktikanten sorgen für ein Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen in Gruppen für Jung und Alt. Einige von ihnen treffen sich bereits seit Jahrzehnten. "Dass hier das Zuhause für Menschen mit Behinderungen ist, macht die besondere Atmosphäre der Gemeinde aus", sagt Pastor Eckhard Oldenburg. "Die Direktheit und die Spontaneität, die diese Menschen zum Beispiel beim Gottesdienstbesuch mitbringen, vertreibt alles Steife und Distanzierte."

Predigt des EKD-Ratsvorsitzenden zur Eröffnung der Woche für das Leben 2009 am 25. April in Lüneburg

Kirchengemeinde St. Nicolai Lüneburg

Woche für das Leben 2009