Ostern: Licht in Sicht

Die "christliche Ostergewissheit" vertraut darauf, dass Gott mit dem Blick der Barmherzigkeit auf die Welt sieht

12. April 2009


Von Bischof Wolfgang Huber

Menschen gehen durchs Dunkel, ungewiss ist der nächste Schritt, sie müssen aufpassen, dass sie nicht stolpern. Ähnlich wie beim Tasten durch die Finsternis verhält es sich mit der Gemütslage in unserem Land. Man wagt den nächsten Schritt, doch man weiß nicht, wohin er führt. Stehen bleiben kann man nicht. Wie muss man gehen, ohne zu straucheln? Wie passen Vorsicht und Entschlossenheit zusammen?

Seit Monaten bestimmt eine Krise die Weltöffentlichkeit. Ein exportabhängiges Land wie Deutschland trifft sie besonders hart. In den Auftragsbüchern vieler Firmen herrscht Leere; viele sind froh, wenn es bei Kurzarbeit bleibt. Experten hüllen sich in vielsagendes Schweigen, fragt man sie nach der Zahl der Arbeitslosen, mit der zu rechnen sei. Fragen kreisen in den Köpfen, und die Ahnung greift Raum, dass eine lange Periode wachsenden Wohlstands an ein Ende kommt. "Sind die Leute von der Krise betroffen, fallen sie teilweise in eine richtige Schockstarre, als wäre das Licht ausgegangen" – so beschreibt es ein Wirtschaftspsychologe. Pfeiler des Lebens, die unverrückbar schienen, tragen nicht mehr. Kaum Hoffnung. Nirgends?

Da sitzt eine Gruppe von Menschen, die Türen verschlossen aus Furcht vor möglichen Feinden. Der, dem sie vertraut und in dessen Schatten sie Geborgenheit gespürt hatten, ist tot. Gekreuzigt wie ein Verbrecher, inmitten anderer Verbrecher. Die herrschende Macht hat ihn gebrochen. "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?" – Sein Aufschrei am Kreuz klingt in ihnen nach. Die Jüngerinnen und Jünger Jesu haben Angst. Eine Schockstarre, als wäre das Licht ausgegangen. Aber dann tritt Jesus mitten unter sie und sagt: "Friede sei mit euch!" Das Licht des Auferstandenen flutet die inneren Räume der versammelten Angst. In die Finsternis strahlt Licht. Ein Ereignis von ungeahnter Wirkung. Es hat unsere Welt verwandelt und verwandelt sie noch.

Der Osterglaube leitet die christliche Kirche durch die Jahrhunderte. Doch dieser Glaube erschöpft sich nicht in dem Zyklus eines Immer-Wieder. Nicht allein die Freude darüber, dass die Tage wieder länger werden und dass Strom und Bäche wieder einmal vom Eise befreit sind, bestimmt diese österliche Zeit. Der christliche Glaube sieht auf ein Ziel. Ostern gibt ihm die Gewissheit, dass der Mensch gewordene Gott es mit dieser Welt gut meint.

Deshalb erschöpft sich der christliche Glaube nicht in einer Art innerlichem Konjunkturprogramm II, das Menschen kurzfristig aufrichtet, um sie fit zu machen für Krisen aller Art. Die christliche Ostergewissheit vertraut darauf, dass Gott mit dem Blick der Barmherzigkeit auf die Welt sieht. Er bleibt ihr gnädiges Gegenüber und geht nicht in ihr auf wie Strom und Bäche oder wie Ideen und Rezepte. Diese Gewissheit verträgt sich nicht mit der Annahme einer eisigen Distanz Gottes zur Erde, wie sie etwa Jean Paul seinem einsamen Christus über dem Weltgebäude zuspricht. Zum Osterglauben gehört vielmehr das Vertrauen darauf, dass Gott ein "Backofen voll Liebe" ist, wie Martin Luther sagt. Durch Kreuz und Auferstehung Jesu Christi hat er sich mit der Menschheit verbunden.

Gottes gnädiger Blick verleiht uns Menschen eine Würde, die nicht in unseren Werken aufgeht. Deshalb beharren Christen auf der Einsicht, dass sich der Wert des menschlichen Lebens nicht in Aktienkursen und Depotwerten erschöpft. Bundespräsident Horst Köhler hat am 24. März in der Berliner Elisabethkirche den biblischen Satz zitiert: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein", dessen Fortsetzung lautet: "sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht." Entscheidend ist die Frage, was dem Leben Bedeutsamkeit gibt über das Sichtbare und Machbare hinaus.

Der Zusage Gottes vertrauen – und Machbares tun, ohne es zu überschätzen: Auch für die Kirchen ist das der richtige Weg. Deshalb ist die Kirche des Wortes zugleich eine Kirche der Tat. Diakonie und Caritas sorgen für das Brot, das der Mensch braucht. Aber sie bezeugen zugleich das Wort, aus dem der Mensch lebt. In der "Woche für das Leben", die am 25. April beginnt, werden die Kirchen in Deutschland sich erneut gemeinsam für jene Menschen einsetzen, die in der Leistungsgesellschaft an den Rand zu geraten drohen. So wirken Christen in unserem Land und in aller Welt: Mit fröhlichem Zuspruch bezeugen sie die Auferstehung Jesu Christi, die vom Dunkel ins Licht führt, und mit klarem Freimut stellen sie sich auf die Seite der Bedrängten.

Menschen gehen durchs Dunkel, ungewiss ist der nächste Schritt, sie müssen aufpassen, dass sie nicht stolpern. Aber sie sehen ein Licht, das die Richtung weist: das Licht von Ostern.

Wolfgang Huber ist Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Quelle: Rheinischer Merkur Nr. 15