Geköpfte Heilige und ein tadelloses Leben

Das Deutsche Historische Museum zeigt die größte Ausstellung zum Calvin-Jahr

31. März 2009


Es war der letzte Eroberungsversuch Savoyens gegen das calvinistische Genf. 1602 ließ der Savoyer Herzog Karl-Emmanuel I. bei Nacht Leitern an die Stadtmauern stellen, über die seine Truppen in die Stadt eindringen sollten. Der Plan scheiterte. Die neu gegründete Republik Genf behauptete ihre Souveränität. Erstmals außerhalb der Schweiz ist ein detailreiches Glasgemälde über diese Niederlage, an die Genf jährlich mit der Fête de l' Escalade erinnert, im Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin zu sehen.

Anlässlich des 500. Geburtstags des Reformators Johannes Calvin (1509-1564) beschäftigt sich das Museum von diesem Mittwoch an mit dem reformierten Glauben sowie seinen politischen, kulturellen und sozialen Folgen für Europa. Dabei rückt die Ausstellung vor allem die Ausbreitung des Calvinismus in Europa sowie seine gesellschaftliche Bedeutung in den Mittelpunkt. Gezeigt werden rund 360 Exponate, unter anderem historische Schriften, liturgische Geräte und Alltagskunst.

Beginnend bei der vorreformatorischen Erneuerungsbewegung der Hussiten thematisiert die Ausstellung in einem ersten Teil das Wirken Calvins. Zweimal kommt Calvin, der neben Zwingli und Luther zu den bedeutendsten Reformatoren zählt, nach Genf. Sein erster Reformationsversuch scheiterte im Jahr 1538, Calvin flieht und kehrt erst drei Jahre später in die Stadt zurück. Jetzt organisiert er die Kirche neu, gründet eine Akademie als Zentrum reformierter Theologie. Von Genf aus breitet sich die calvinistische Lehre nach Schottland, in die Niederlande und in die osteuropäischen Länder bis in die Neue Welt aus.

"Wenn es um Religion geht, geht es um eine politische Angelegenheit", sagt Kurator Ansgar Reiß im Blick auf das 16. Jahrhundert. Schwerpunkt der Ausstellung im DHM liegt auf dem Calvinismus in den Niederlanden, der Schweizer Eidgenossenschaft und Ungarn. Bei der Suche nach neuen Staatsformen und Herrschaftsteilungen setzten die streitenden Parteien auf Allianzen im Zeichen des gemeinsamen Glaubens. Europaweit entstanden Netzwerke unterschiedlicher Konfessionen, spitzten sich die Religionsstreitigkeiten zu, bis die politische Eskalation schließlich im Dreißigjährigen Krieg mündete.

In einem Sonderkabinett setzt sich die Ausstellung mit dem Bildersturm auseinander. Hier ist eine Marienstatue mehreren abgeschlagenen Heiligenköpfen gegenübergestellt. Radikal wandte sich der Calvinismus gegen die Verehrung von Heiligen, rückte die Bibel als alleinigen Glaubensgrund in den Mittelpunkt. Gleichzeitig habe der Calvinismus eigene Bilderwelten geschaffen, sagt Kuratorin Sabine Witt. Plakativ kritisierten neue Gemälde Völlerei und Maßlosigkeit. An anderer Stelle wurde ein weißbärtiger Gott durch den hebräischen Gottesnamen ersetzt.

Im Untergeschoss des Pei-Baus ist ein reformierter Kirchbau nachgebaut. Karg ist der stilisierte Gottesdienstraum, in der Mitte dominiert eine hölzerne Kanzel, an den Wänden hängt eine Holztafel mit den zehn Geboten, an einer Seite vier Orgelprospekte. Kunstreiche Gemälde wie in katholischen oder anderen protestantischen Kirchen fehlen völlig. Deutlich sind hieran die Folgen des Bildersturms zu sehen.

Nebenan liegen in einem Schaukasten mehrere Abendmahlsmarken. Dem Abendmahl, das in der reformierten Kirche als "Friedensmahl" gefeiert wird, ging eine harte Prüfung voraus. Nur wer wegen tadelloser Lebensführung eine Marke erhielt, durfte am Abendmahl teilnehmen.

Der Calvinismus erfordere eine neue Ordnung des Lebens, erklärt Kurator Reiß. Dies habe die Kirche und Gesellschaft ebenso betroffen wie die Prinzipien der Lebensführung. So zeigt etwa ein Gemälde die sieben Werke der Gerechtigkeit - angefangen bei der Krankenpflege bis hin zur Gefängnisseelsorge.

Gleichzeitig steht der Calvinismus für ein strenges Arbeitsethos. Wohl nicht zuletzt ihm ist in den calvinistisch geprägten Regionen wirtschaftlicher Wohlstand zu verdanken. Keine Stadt macht dies vermutlich deutlicher als das heute international geprägte Genf, das sowohl als Bankenmetropole als auch durch seine Uhren weltweit Bekanntheit erlangt hat. (epd)

Die Ausstellung "Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa" im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums ist vom 1. April bis 19. Juli täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen.