Im Gepäck ein Wörterbuch

Die ersten 122 Irak-Flüchtlinge bereiten sich auf das Leben in Deutschland vor

24. März 2009


Voller Optimismus hebt Mazin al Kafaji ein arabisch-deutsches Wörterbuch in die Höhe. "Das erste, was wir tun wollen, ist Deutsch lernen", sagt der 46-jährige Ingenieur aus Bagdad und strahlt. "Wir haben schon damit angefangen." Al Kafaji gehört mit seiner Frau und seinen beiden Kindern zu den ersten 122 Flüchtlingen aus dem Irak, die in der vergangenen Woche in Deutschland angekommen sind.

Das Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen ist die erste Station in ihrer neuen Heimat. Die Familie ist zuversichtlich, dass sie in Deutschland Fuß fassen kann: "Wir fühlen uns wie neu geboren und sind sehr dankbar. Wir wollten nach Deutschland, denn Deutschland ist sicher. Wir werden uns schnell integrieren."

Rund 10.000 besonders schutzwürdige Flüchtlinge aus dem Irak sollen in den kommenden Monaten nach einem Beschluss der EU-Innenminister in Europa eine Zuflucht finden, unter anderem verfolgte Christen, Mandäer und Yesiden. Deutschland wird etwa ein Viertel von ihnen aufnehmen. Alle zwei Wochen sollen bis zu 145 Menschen eintreffen, die zuvor nach Syrien oder Jordanien geflohen waren.

Familie Al Kafaji gehört zu den Mandäern, einer den Christen verwandten Religionsgruppe, die sich aber nicht auf Jesus, sondern auf Johannes den Täufer beruft. Weil sie im Irak nicht als Buchreligion gelten wie die Christen, leiden sie besonders unter Verfolgung, erläutert der Nahost-Experte Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen. Mazin al Kafaji arbeitete als Ingenieur in Bagdad, hat sich auf die Reparatur von schweren Kränen spezialisiert. Doch am Arbeitsplatz fühlte er sich nach dem Zerfall des Irak nur noch gemobbt. "Sie haben mich spüren lassen, dass ich nicht willkommen bin."

In Friedland leben die Flüchtlinge in kleinen Zimmer mit Doppelstockbetten und Stühlen im Jugendherbergsstil - zu Toiletten, Duschen und Küche geht es über den Flur. Familie Al Kafaji ist vorübergehend auf etwa zehn Quadratmetern mit Neon-Leuchte untergekommen. In die Ecke hinter der Tür haben sie ihre Koffer abgestellt, auf einem Tisch stehen vier Zahnbürsten im Pappbecher, dazu Teebeutel und eine Tüte Apfelsaft. An der Wand neben der Garderobe hängt - typisch deutsch - die Hausordnung.

Die Familie wohnte in Bagdad im Stadtteil Dora, in dem besonders viele Christen und Mandäer zu Hause waren. Als sich die Auseinandersetzungen verschärften, wurde der Sohn verschleppt. "Ich war auf dem Weg zur Schule und wurde in eine Auto gesteckt", erzählt der 16-jährige Mohanad. Als sein Vater nach drei Tagen ein Lösegeld zahlte, kam er wieder frei. Nachts wacht er manchmal noch auf, wenn sich die Erinnerungen in seinen Träumen breit machen.

Sein Vater hält die Entführer für Terrorbanden, die nur auf Geld aus seien: "Jeder in Bagdad kann entführt werden." Seine Frau Maha Talib (37), die in einem Rechenzentrum arbeitete, traute sich zeitweise gar nicht mehr auf die Straße. Einmal sei sie geschlagen worden, als sie ohne Kopftuch ihre Tochter Sara (18) zur Schule begleitete.

Experte Kamal Sido vergleicht die Situation in Bagdad mit der im ehemaligen Jugoslawien. Nach dem Sturz von Saddam Hussein habe sich die Bevölkerung von Bagdad in Sunniten, Schiiten und Christen aufgespalten. Und die Christen seien die schwächsten, da sie weder ein zusammenhängendes Gebiet noch eigene Milizen hätten. Davon berichtet auch Mazin F. (38) ein chaldäisch-katholischer Christ, der in einer Kunststoff-Fabrik arbeitete: "Vor dem Zerfall war es ein gutes Leben." Doch dann seien an einem einzigen Tag in Bagdad vier Kirchen in die Luft gesprengt worden.

Als schließlich ein Nachbar entführt und getötet wurde, entschloss Mazin sich mit seiner Mutter Salima (59) und seiner Schwester Salwa (20) zur Flucht. "Unser Leben war bedroht", erzählt er und verschränkt die Hände ineinander. Seinen Nachnamen will er nicht in der Zeitung lesen, aus Furcht, dass Extremisten im Irak wegen seiner Berichte Racheakte an Christen verüben könnten. Rund 80 Prozent der Christen hätten Bagdad inzwischen verlassen. "Das Land bewegt sich in Richtung Radikalismus. Sie wollen einen islamischen Staat. Da ist für Christen kein Platz."

Die Al Kafajis werden in den nächsten Tagen nach Baden-Württemberg weiterziehen und sich in der Nähe von Stuttgart niederlassen, wo sie Verwandte haben. Die Kinder schmieden schon Pläne: Mohanad will wie sein Vater Ingenieur werden, seine Schwester Sara Zahnärztin. Und Familienvater Mazin al Kafaji ist zuversichtlich, dass er bald einen Job findet, denn in Bagdad hat er oft mit deutschen Firmen zusammengearbeitet.

In Richtung Stuttgart zieht es auch Mazin F., der seit vier Jahren auf der Flucht ist. "Natürlich haben wir manchmal Sehnsucht nach Bagdad", sagt er. "Aber nach dem alten Bagdad." (epd)