Lutherische Zäune und Brücken

Auf dem Auguste-Victoria-Gelände ist protestantische Präsenz in Jerusalem spürbar

02. März 2009


Der große viereckige Turm ist aus der Silhouette Jerusalems nicht wegzudenken. Massiv steht er auf dem Ölberg oberhalb der Altstadt, nicht weit von der Hebräischen Universität. Wer den Weg hierher findet, versteht, warum sich die deutsche evangelische Gemeinde von Kaiser Wilhelm II. die Einrichtung eines Erholungsheims an dieser Stelle erbat. Der frische Wind vertreibt die Stadtluft, die alten Bäume spenden wohltuenden Schatten.

1898 weihten Kaiser Wilhelm II. und seine Gemahlin Auguste Victoria die Erlöserkirche in der Altstadt ein, da brachte die Gemeinde diese Bitte vor. Keine zwölf Jahre später war das burgartige Auguste-Victoria-Hospiz samt Himmelfahrtkirche auf dem rund 19 Hektar großen Gelände fertiggestellt - nach den Worten des Architekten Robert Leibnitz ein "stolzes Wahrzeichen deutscher Macht und deutscher Kulturarbeit".

Wenn Pfarrer Michael Wohlrab durch die Kirche führt, ist ihm das Staunen über den damals betriebenen Aufwand anzumerken: "Man hat wirklich keine Kosten und Mühen gescheut: Marmor aus Italien, eine pneumatische Orgel der Firma Sauer aus Frankfurt an der Oder. Und die Glocken kamen aus Apolda - mit dem Schiff von Hamburg nach Jaffa, von wo aus eigens neue Straßen für den Transport nach Jerusalem gebaut werden mussten." 1988 bis 1991 wurde die Kirche restauriert und erstrahlt in neuem Glanz - eine Renovierung des angrenzenden Festsaals ist zum 100. Jubiläum der Anlage im nächsten Jahr angestrebt.

Wem die Deckengemälde und Mosaiken mit dem auferstandenen Christus und den vielen Heiligen ein wenig katholisch vorkommen, den weist Wohlrab gern darauf hin, dass im Medaillon des Petrus in der Apsis das "Sankt" vor dem Namen verloren ging - und dass daneben Paulus eine große Ähnlichkeit mit einem Bild von Martin Luther als Junker Jörg aufweist.

Luther ist heute noch ebenso präsent auf dem Ölberg wie zu Kaisers Zeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging das Gelände, das der von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) geführten Kaiserin-Auguste-Victoria-Stiftung gehört, in die Treuhandschaft des Lutherischen Weltbunds über. Dieser betreibt im ehemaligen Hospiz ein Krankenhaus, das ursprünglich das Rote Kreuz 1948 für palästinensische Flüchtlinge eingerichtet hatte. Das Evangelische Pilger- und Begegnungszentrum der Kaiserin-Auguste-Victoria-Stiftung hält die Tradition evangelisch-deutscher Präsenz lebendig. Das Pfarrerehepaar Michael und Ulrike Wohlrab empfängt Pilgergruppen, organisiert Begegnungsabende und bietet Seelsorge an.

Voller Motivation zum Dialog mussten die Wohlrabs bei ihrer Ankunft vor zweieinhalb Jahren erst einmal erleben, wie Zäune um das Gelände errichtet wurden, weil auf dem einen Ende des Geländes eine Moschee gebaut worden war und auf der anderen Seite eine radikale jüdische Siedlung angrenzt. Für Michael Wohlrab ist diese geografische Situation symbolisch für die Lage der Christen im Land: "Die Frage ist: Wird man dazwischen zerrieben oder schafft man es, Brücken zu bauen?"

Viele dieser möglichen Brückenbauer gibt es jedenfalls nicht mehr in der Stadt. Mark Brown, der Regionalvertreter des Lutherischen Weltbunds, kennt die Zahlen auswendig: "1946 lebten in Jerusalem 31.000 Christen, 35.000 Muslime und 98.000 Juden. Im Jahr 2000 waren es 440.000 Juden, 220.0000 Muslime und 14.000 Christen." Pessimistische Schätzung gingen heute sogar nur von 6.000 Christen in Jerusalem aus.

Daher haben der Lutherische Weltbund, die arabischsprachige Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land und die EKD beschlossen, 84 Wohnungen für palästinensische Christen auf dem Gelände der Stiftung zu bauen. Wenigstens der Mangel an erschwinglichem Wohnraum soll die Menschen nicht vertreiben. Brown ist sich sicher, dass das Projekt auch die Zustimmung muslimischer Verantwortlicher hat. "Der Erhalt von Jerusalem als muslimisch-christlich-jüdischer Stadt ist ihnen allen wichtig."

Auch Tawfiq Nasser, der leitende Direktor des Krankenhauses, hält sehr an dem multireligiösen Mosaik der Stadt fest. Und will mit seinem Krankenhaus dazu beitragen, dass es bestehen bleibt. Er weiß, wie schwer Straßensperren und Checkpoints es vielen Patienten machen, das Krankenhaus zu erreichen. Einer der Gründe, warum das Krankenhaus seit Beginn der 90er Jahre von der allgemeinen Gesundheitsversorgung palästinensischer Flüchtlinge zu einer Spezialisierung auf Dialyse und Krebsbehandlung überging. Mit mühsam zu erlangenden Sondergenehmigungen können auch Kranke aus dem Gazastreifen hier behandelt werden.

Nassers Ziel ist, das Auguste-Victoria-Krankenhaus in der Dialyse- und Krebsversorgung unverzichtbar zu machen. "Wir können auf Augenhöhe zu den Israelis sagen: ihr habt gute Medizin, wir auch. Die ganze Welt soll diese andere Botschaft von den Palästinensern entdecken, eine stabile, exzellenzfähige Nation sehen." Der aus dem Westjordanland stammende anglikanische Christ fühlt sich darin auch der Geschichte des Krankenhauses verbunden: "Wir wollen zeigen, dass christliche Institutionen hier immer noch an der Spitze stehen und nicht nur eine historische Präsenz zeigen, sondern auf der Höhe der Zeit sind." (epd)