Menschenrechte feiern Geburtstag

Politisch entstanden haben sie doch christlichen Kern

08. Dezember 2008


Es war ein – historisch gesehen – langer Weg zu der Entscheidung vor 60 Jahren: Die damalige Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete in Paris die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. 48 der damals 56 UN-Mitgliedsländer stimmten für die Erklärung, die unter dem Schock des Nazi-Terrors und des Zweiten Weltkriegs entstanden war. Sechs kommunistische Staaten sowie Saudi-Arabien und Südafrika, in dem sich gerade die Apartheid etablierte, enthielten sich. "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren", heißt es im ersten Artikel der Erklärung. Das Dokument setzte aber Normen für unveräußerliche Rechte und Freiheiten, die für alle Menschen überall auf der Welt gelten sollen, auch wenn es völkerrechtlich nicht verbindlich ist.

Auf dem langen Weg von den ersten demokratischen Ansätzen in griechischen Stadtstaaten über die philosophische Überlegungen im 17. Jahrhundert und die Revolutionen Europas im 18. Jahrhundert taten sich die christlichen Kirchen schwer mit den Überlegungen zu Grundrechten aller Menschen. Dabei sind die Menschenrechte schon durch das Gebot der Nächstenliebe sind im Christentum tief verankert. Schließlich wird im Alten und Neuen Testament zur Solidarität mit Schwachen und Armen ermahnt und der Mensch als Ebenbild Gottes bezeichnet. Vor allem wegen der antiklerikalen Stimmung während der Französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts stieß die Idee der Menschenrechte bei den großen Kirchen in Europa während des 19. Jahrhunderts auf Skepsis bis Ablehnung. Man fürchtete, die Menschen könnten in das Extrem einer zügellosen Freiheit fallen, Staat und Kirchen ihren Einfluss verlieren.

Das Umdenken begann mit den Erfahrungen der beiden Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und dem Genozid der nationalsozialistischen Herrschaft. Mit der Verabschiedung der Allgemeinen Menschenrechte und der Gründung des Ökumenischen Weltrates der Kirchen machten die Kirchen die Verteidigung der Menschenrechte auch zu ihrer eigenen Sache.

Zum 60. Jahrestag verweist der Auslandsbischof der EKD, Martin Schindehütte, auf die weiterhin bestehende Herausforderung, den Menschenrechten weltweit zur Geltung zu verhelfen. Auch wenn es sich zum 60. Mal jähre, dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit der großen Mehrheit ihrer Mitgliedsstaaten die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet hat, käme immer noch es in vielen Länder der Erde zu eklatanten Verstößen gegen diese elementaren Rechte. Schindehütte nannte als Beispiel die Lage der unterdrückten Christen im indischen Bundesstaat Orissa und im Irak. Inakzeptabel sei auch der Gesetzesentwurf im Iran, der einen „Abfall“ vom Islam mit der Todesstrafe bedroht und damit nichtmuslimische religiöse Minderheiten in akute Gefahr versetze. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit sei von fundamentaler Bedeutung für die Menschenrechte. Wenn die Religionsfreiheit als Menschenrecht des Einzelnen und ihrer Gemeinschaften bedroht werde, so seien damit alle individuellen und politischen Freiheiten gefährdet.

Auch wenn die Menschenrechte aus politischen Zusammenhängen entstanden seien, so der Auslandsbischof, seien sie doch in ihrem Kern christlich geprägt. So sagte er wörtlich: „Für Christen ist die Gottesbeziehung das entscheidenden Widerlager, an dem sich auch unsere eigenen Interessen als christliche Bürger in Staat und Gesellschaft brechen. Die Menschenwürde ist eine Gabe Gottes. Sie ist für Christen mit der biblischen Einsicht von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen verknüpft. Gott selbst erleidet in seinem Sohn Jesus Christus Folter und gewaltsamen Tod. Dennoch hält er durch die Auferweckung seines Sohnes an seiner Liebe zu den Menschen fest. Darum ist von Gott zugeeignete Menschenwürde sehr wohl verletzlich, aber doch unzerstörbar. Wenn die Kirche gegen die Verletzung der Menschenwürde aufsteht und für die Wahrung der in ihr verankerten Rechte eintritt, so folgt sie darin jenem Weg, den ihr der Herr der Kirche Jesus Christus selbst vorgegeben hat. Darum ist es unverzichtbarer Auftrag der Christen, immer wieder laut und vernehmlich ihre Stimme zu erheben und konkret zu handeln, wo einzelne oder Gruppen von Menschen aus welchen Gründen auch immer entrechtet, verfolgt und verletzt werden.“

EKD-Pressemitteilung zum Thema


epd-Beitrag zum Thema vom 08. Dezember:

Spagat zwischen Freiheit und Tradition

Die Idee der Menschenrechte hat im Christentum eine wechselvolle Geschichte

Von Stephan Cezanne (epd)

Allein schon durch das Gebot der Nächstenliebe sind die Menschenrechte im Christentum tief verankert. Schließlich wird im Alten und Neuen Testament zur Solidarität mit Schwachen und Armen ermahnt und der Mensch als Ebenbild Gottes bezeichnet. "Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde", steht im Schöpfungsbericht im ersten Buch Mose (Genesis) - ein Grundlagentext der jüdisch-christlichen Tradition.

Dennoch: Die Kirchen haben sich mit dem Gedanken der Menschenrechte jahrhundertelang sehr schwer getan, diesen zum Teil sogar bekämpft. Vor allem wegen der radikal antiklerikalen Stimmung während der Französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts stieß die Idee der Menschenrechte bei den großen Kirchen in Europa während des ganzen 19. Jahrhunderts auf Skepsis bis Ablehnung. Man fürchtete, die Menschen könnten in das Extrem einer zügellosen Freiheit fallen, Staat und Kirchen ihren Einfluss verlieren.

Ein Umdenken setzte ein mit der vor 60 Jahren - am 10. Dezember 1948 - von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris verkündeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Nach den Gräueln der Weltkriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts rangen auch die Kirchen darum, wie man ein globales Blutvergießen in Zukunft verhindern kann.

Ein Meilenstein war die Enzyklika "Pacem in Terris" ("Frieden auf Erden") von Papst Johannes XXIII. aus dem Jahr 1963: "Bezüglich der Menschenrechte, die Wir ins Auge fassen wollen, stellen Wir gleich zu Beginn fest, daß der Mensch das Recht auf Leben hat, auf die Unversehrtheit des Leibes sowie auf die geeigneten Mittel zu angemessener Lebensführung."

Es ist allerdings nicht so, dass die Kirchen die Menschenrechte erst im 20. Jahrhundert entdeckt hätten. Bereits in der frühen Christenheit wurden entsprechende philosophische Vorstellungen aus der Antike übernommen. Vor allem Martin Luther (1483-1546) machte am Ende des Mittelalters deutlich, dass die Würde und der Wert eines Menschen nicht von dessen Leistung oder Fehlern abhängt. Auch der Reformator Johannes Calvin, an dessen 500. Geburtstag 2009 gedacht wird, beeinflusste die moderne Idee der Menschenrechte.

Die reformatorische Forderung nach Glaubens- und Gewissensfreiheit ist für Historiker daher auch eine der Quellen der modernen Menschenrechtserklärungen. In der Neuzeit setzten sich humanistische Vordenker und Moraltheologen wie der Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld (1591-1635) oder der Protestant Christian Thomasius (1655-1728) für ein Ende der grausamen Hexenverfolgungen ein.

Der schwarze Baptistenpfarrer Martin Luther King (1929-1969) schließlich kämpfte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Menschenrechte der farbigen Minderheit in den USA: "Ich habe einen Traum, dass eines Tages auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen können."

Die Menschenrechtsarbeit steht seit den 1940er Jahren auch auf der Agenda der ökumenischen Bewegung ganz oben. Seit 1968 gewann das Programm des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) zur Bekämpfung des Rassismus an Bedeutung. Historiker werten es als wichtigen Beitrag zum Ende der Apartheid in Südafrika. Der mehr als 560 Millionen nicht-katholische Gläubige repräsentierende Weltkirchenrat erinnerte jüngst daran, dass die Kirchen schon bei der Formulierung der Erklärung der Menschenrechte vor 60 Jahren aktiv mitgewirkt haben.

"Jeder Mensch muss menschlich behandelt werden", heißt es auch in dem von dem katholischen Theologen Hans Küng ins Leben gerufenen Weltethos-Projekt: "Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu. Oder positiv: Was du willst, das man dir tut, das tue auch den anderen!" Diese sogenannte Goldene Regel ist Küng zufolge seit Jahrtausenden in vielen religiösen und ethischen Traditionen der Menschheit zu finden und hat sich bewährt.

Mit der Erklärung der Menschen- und Grundrechte, bilanziert schließlich der evangelische Theologe Helmut Thielicke (1908-1986), werden die Menschen auch vor sich selbst in Schutz genommen: "Die Erklärung der Menschenrechte hat darum nicht - oder jedenfalls nicht allein! - den Sinn einer philosophischen Proklamation, sondern den einer politischen Aktion." (epd)